Dienstag, 25. Mai 2010

8. Verheissung und Erfüllung

Visionen

Ich sehe einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Vision und Verheißung: Vision ist eine ein menschliche Vorstellung von der Zukunft, ein idealer Entwurf, ein Wunschtraum, eine Phantasie. Sie kann je nachdem negativ als bloß Phantasterei beurteilt werden oder positiv als Ahnung einer Wirklichkeit, die in Zukunft eintreten könnte.

Verheißungen

Die Verheißung beruht auf Bibelworten, die wir meist im Alten Testament finden. Sie ist ohne Zweifel auch Menschenwort, ist aber nach ihrem Selbstverständnis zugleich auch Gottes Wort. Gott selbst ist der Garant dafür, dass die Verheißung erfüllt wird. Das Alte Testament enthält sehr viele solcher Verheißungen, die freilich längst vergessen sind. Eine dieser Verheißungen jedoch, die messianische, hat sich als weltgeschichtlich äußerst wirksam erwiesen, nämlich die Verheißung, dass Davids Königtum ewig dauern werde – durch einen Sohn Davids, den Messias, den von Gott erwählten Retter und „Heiland“. Eine Gruppe von Juden und Jüdinnen hat sich vielleicht schon vor dem Tod Jesu zu dem Glauben (zu der Überzeugung) bekannt, dass der Jude Jesus aus Nazareth der verheißene Messias sei. Dieses „Christusbekenntnis“ ist auch durch die Kreuzigung Jesu nicht aufgehoben worden, im Gegenteil. Es wurde vor allem durch die Botschaft von der Auferstehung Jesu von den Toten für die Bekennenden beglaubigt und hat sich in den christlichen Gottesdiensten weltweit durchgesetzt und zur Entstehung der christlichen Weltreligion geführt.

Ein Gegenargument

Die Wahrheit des christlichen Glaubensbekenntnisses ist ebenso umstritten wie der Wert von Visionen. Das wichtigste Gegenargument auch für die Juden, die diesen Messias nicht annehmen konnten, besteht wohl in der unbestreitbaren Feststellung, dass mit diesem Messias Frieden und Gerechtigkeit auf Erden keineswegs eingekehrt sind. Was können Christinnen und Christen, die sich immer noch zu Jesus dem Christus bekennen, auf diesen Einwand antworten? Ich möchte weder mit dem Hinweis auf die „Wiederkunft Jesu“, die seit der Naherwartung der ersten christlichen Gemeinden nicht eingetreten ist, noch mit dem Hinweis auf das „Jenseits“ ausweichen.

Das Vaterunser

Wir bitten im Vaterunser: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.“ So zu beten hat keinen Sinn, wenn wir nicht damit rechnen, dass unser Gebet erhört wird, dass also Gottes Reich tatsächlich kommt und Gottes Wille wirklich auf Erden geschieht – inmitten all der Ungerechtigkeit und der Gewalt, die uns ringsum umgibt. Das Vertrauen auf die Erhörung unserer Gebete kann und wird auch ein ständiger Anreiz für uns sein, uns für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen und die schlimme Gewalt zu überwinden, die Zerrissenheit in uns selbst, die Spaltung in unseren Familien und Gesellschaften, den blutigen Streit unter den Völkern. In alledem vertrauen wir darauf, dass Gott selbst seine Verheißung durch Jesus, den Christus, auch in uns und durch uns wahr macht.

Ein Bündnis mit denen, die Visionen ernst nehmen

Dazu gehört für mich auch, dass wir lernen, uns mit den Menschen zu verbünden, die „Visionen“ nicht als Hirngespinst betrachten, sondern ihrer Verwirklichung mit nicht geringerem Einsatz nachstreben als es Christen und Christinnen mit dem verheißenen Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit tun.



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