Dienstag, 25. Mai 2010

6.4 Brief an Landesbischof July (2010)

Brief eines Bischofs an Wehrpflichtige

Landesbischof Frank Otfried July hat Ende August 2009 (wie alle Jahre) einen Brief an alle evangelischen Wehrpflichtigen der Evang. Landeskirche in Württemberg vor ihrer Musterung geschrieben
Der Bischof stellt den Wehrpflichtigen die beiden Möglichkeiten vor Augen, Wehrdienst zu Leisten oder den Kriegsdienst zu verweigern.

Drei Zitate:

Selbst wenn dabei pragmatische Gesichtspunkte eine Rolle spielen mögen, geht es im Kern doch nach wie vor um eine Gewissensentscheidung. Diese kann Ihnen niemand abnehmen

Die evangelische Kirche ist sich dessen bewusst, dass in der gegenwärtigen Weltlage das Gewaltmonopol des Staates einschließlich der militärischen Machtmittel unverzichtbar ist.

Die christlichen Kirchen treten weltweit für den Vorrang der Kriegsprävention und der gewaltfreien Beilegung von Konflikten vor jeder militärischen Option ein. Angesichts der Gewalt in der Welt und im Umgang mit militärischer Macht geraten Christen dennoch in eine schwierige Entscheidungssituation.

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Am 11. Mai 2010 habe ich zum Brief des Bischofs an die Wehrpflichtigen wie folgt Stellung genommen:

Schorndorf, 11. Mai 2010

Sehr geehrter Herr Landesbischof,
lieber Herr July,

In diesen Tagen wurde mir Ihr Brief an einen Wehrpflichtigen im Dekanat Schorndorf zugeleitet. Durch Nachfrage beim Oberkirchenrat erfuhr ich, dass Ihr Brief am 28. August 2009 über die Dekanat- und Pfarrämter an alle evangelischen Wehrpflichtigen, die zu unserer Landeskirche gehören, gerichtet wurde. Das Dekanat Schorndorf erhielt 443 solche Briefe.
Ich begrüße es, dass Sie als Landesbischof jedes Jahr alle Wehrpflichtigen in dieser für sie wichtigen Frage beraten. Aber ich möchte zum Inhalt Ihres Briefes vom 28. August 2009 kritisch Stellung nehmen.
In Ihrem Brief ist mit keinem Wort von der verhängnisvollen Rolle militärischer Gewalt in der Geschichte der Völker die Rede.
Es ist in meinen Augen nicht genug, wenn Sie die Wehrpflichtigen darauf hinweisen, dass niemand ihnen ihre persönliche Gewissensentscheidung abnehmen kann.
Ein Bischof ist den getauften und konfirmierten Mitgliedern seiner Kirche doch zu allererst die Ausrichtung des Evangeliums schuldig, die Übereinstimmung dessen, was in der Kirche gepredigt wird mit dem, was Glieder der Kirche in der Welt tun sollen.
In allen christlichen Kirchen wird gepredigt, dass Jesus Christus der Herr ist, der die Seinen den rechten Weg führt, wenn sie ihm gehorchen.
In allen christlichen Kirchen beten die Menschen, dass Gottes Wille wie im Himmel so auf Erden geschehen möge. Das Evangelium sagt uns, dass die Liebe zu Gott untrennbar mit der Liebe zum Nächsten verbunden ist und Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, lässt keinen Zweifel daran, dass die Nächstenliebe nicht nur die Nahen, sondern auch die Fernen umfasst, nicht nur die Freunde, sondern auch die Feinde. Dürfen sich denn Christen, die ihre Feinde lieben sollen, durch Ausbildung an mörderischen Waffen darauf vorbereiten, sie zu töten? Wozu lernen Konfirmanden das 5. Gebot: „Du sollst nicht töten?“ Dass sie andere Menschen nicht als Mörder auf eigene Faust umbringen dürfen, das wissen sie auch ohne Konfirmandenunterricht. Aber dass Gott die Menschen von der unseligen, seit Menschengedenken gültigen Regel befreien will, Mitchristen oder Nichtchristen auf Befehl ihrer Regierungen und Parlamente umzubringen - das ist ein Evangelium, eine gute Botschaft, die ihnen um Gottes willen nicht vorenthalten werden darf, am allerwenigsten vom Bischof ihrer Landeskirche, aber auch nicht von ihren Pfarrerinnen und Pfarrern.
Sie aber schreiben an die Wehrpflichtigen:
„Die evangelische Kirche ist sich dessen bewusst, dass in der gegenwärtigen Weltlage das Gewaltmonopol des Staates einschließlich der militärischen Machtmittel unverzichtbar ist.“
Worauf gründen Sie Ihr Urteil? Ich weiß, dass es mit der politischen Überzeugung des ehemaligen Bundesministers und Kirchentagspräsidenten Erhard Eppler übereinstimmt. Aber müssten wir Christen uns gerade auch in der gegenwärtigen Weltlage nicht viel mehr an Jesus Christus halten und ihm nachfolgen?
Lange Jahre nach dem 2. Weltkrieg gibt es endlich ein weit verbreitetes Bewusstsein für die Ungeheuerlichkeit der nazistischen Verbrechen an den Juden und anderen Geächteten, das auch zu tiefgreifenden Korrekturen der christlichen Theologie geführt hat. Nach meiner Überzeugung ist bisher ein entsprechendes Schuldbewusstsein bei den Christen Europas dafür ausgeblieben, dass sie schon im 1. Weltkrieg das Gebot ihres Herrn, die Feinde zu lieben, völlig ignoriert haben, ebenso wie die Frohbotschaft, dass Gott durch seine Feindesliebe die Welt mit sich selber versöhnt hat - (2. Korinther 5) – Grundlage der Versöhnung der Völker untereinander.

Die Vorgeschichte der Hitlerherrschaft, der Judenvernichtung und der 60 Millionen Toten des 2. Weltkriegs ist die gegenseitige Ermordung von 9 Millionen Gliedern am Leib Christi im 1. Weltkrieg. Der unselige Zusammenhang zwischen beiden Weltkriegen muss erkannt und thematisiert werden. Wenn dafür ein Bewusstsein entsteht, wird es zu einer ähnlich radikalen Korrektur der Theologie führen wie nach der Schoa.
Ob die christlichen Kirchen die Anwendung staatlicher militärischer Gewalt zur Vernichtung von Feinden nach wie vor auf diese oder jene Weise rechtfertigen, wird zum Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der christlichen Kirche und ihrer Botschaft vor den Augen der nichtchristlichen Welt.


Sehr geehrter Herr Landesbischof, Sie werden verstehen, dass ich versuchen werde, diesen Brief, soweit es mir möglich ist, innerhalb und außerhalb unserer Kirche zu verbreiten. In der Hoffnung, dass Sie meine kritischen Worte nicht nur persönlich bedenken, sondern dieses Thema auch zum Gegenstand Ihrer Besprechungen in der Kirchenleitung und in der Landessynode machen,

grüße ich Sie herzlich
(gez.) Werner Dierlamm

Bismarckstr. 13 73614 Schorndorf Tel.: 07181/22696 email: wernerdierlamm@arcor.de
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Stellungnahme des verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktionauf meinen Brief an Landesbischof July

Ernst-Reinhard Beck MdB
Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verteidigungspolitik
Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Berlin, 10. Juni 2010

Sehr geehrter Herr Pfarrer Dierlamm

Sie haben den CDU-Abgeordneten in Baden-Württemberg einen Brief zugeleitet, den der württembergische Landesbischof Dr. h.c. July im letzten Jahr an junge evangelische Christen seiner Landeskirche anlässlich der Musterung und eventuellen Einberufung zum Wehrdienst geschrieben hat. Am 11. Mai dieses Jahres haben Sie Ihrem Landesbischof in einem Brief geantwortet, den Sie uns ebenfalls haben zukommen lassen, zusammen mit Ihrem Anliegen, „innerhalb und außerhalb unserer Kirchen“ eine Diskussion darüber in Gang zu bringen.
Ich möchte gern auf Ihr Anliegen eingehen und meinen Beitrag zur gewünschten Diskussion einbringen.
Bischof July stellt heraus, dass die von ihm angeschriebenen jungen Christen im Hinblick auf den von ihnen grundsätzlich geforderten Wehrdienst eine bewusste Gewissensentscheidung für oder gegen den Wehrdienst fällen. Beide Gewissensentscheidungen sind aus christlicher Sicht zu respektieren. Beide Wege, der des Soldaten und der des Kriegsdienstverweigerers können zu Gewissenskonflikten und Schuld führen. So die Sicht des Bischofs.

Da Sie an seiner Darstellung Kritik geübt hab en, habe ich die einschlägigen Texte der EKD zu Rate gezogen, um feststellen zu können, wie sich seine Äußerungen in die kirchliche Beschlusslage der EKD einfügen . Ich bin dabei auf den grundlegenden Text von 1989 gestoßen: Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung (EKD-Texte 29), desweiteren auf die friedensethische Neuorientierung nach dem Ende des Kalten Krieges von 1994: Schritte auf dem Weg des Friedens (EKD-Text 48) und schließlich auf die Friedensdenkschrift der EKD von 2007.
Im erstgenannten Dokument von 1989 fand ich sehr klare Aussagen vor:
„Das Zeugnis der Gewaltlosigkeit, das wir aus dem Evangelium hören, und die Mittel der Gewalt, die unsere politische Realität noch immer bestimmen, setzen uns der härtesten Anfrage an unser Tun und Lassenaus. Der persönliche Verzicht auf Gewalt kann ein präziser Ausdruck christlichen Friedenshandelns sein. Andererseits kann ein Christ seine Bereitschaft, sich mit militärischen Mitteln an der Abwehr von Gewalt zu beteiligen, als unabdingbaren Teil einer politischen Konfliktlösung begreifen … Der Soldat stellt sich in die Paradoxie der gegenwärtigen Weltsituation. Der Kriegsdienstverweigerer hält das Bewusstsein wach, dass diese Situation nicht dauern darf.“(S.10).
Desweiteren heißt es dort:
„Im Dilemma der gegenwärtigen historischen Situation zwischen dem Ziel der Gewaltfreiheit und der Schutzbedürftigkeit von Recht und Frieden gegen Gewalt ist die Kirche nicht in der Lage, einem der angebotenen Wege zur Erhaltung des Friedens und zum Schutz des Lebens der Nächstgen den Vorzug zu geben und die von manchen gewünschte eindeutige Entscheidung für einen generellen Gewaltverzicht im Sinne der historischen Friedenskirchen zu fällen. (ebd.)
Die Kirche verfüge, so im weiteren Fortgang, „weder über das Wissen noch über die Macht, das genannte Dilemma für aufgelöst zu erklären.“ (ebd.)
Im weiteren Verlauf wird dargelegt:
„Welche Entscheidung der Christ auch fällt, ob für den Weg des Soldaten oder für den Weg des Kriegsdienstverweigerers, es darf nicht sein, dass der eine für sich eine höhere Qualität von Christsein in Anspruch nimmt oder gar dem anderen das Christsein abspricht, weil er eine andere Position vertritt. …Aufgabe der Kirche ist es, darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung in beiden Fällen vor dem Gewissen zu verantworten ist.“ (S.11)
Etwas später wird diese Aussage verdeutlicht:
„Jeder ist seinem, in Gottes Wort gebundenen Gewissen, verantwortlich. Niemand kann sicher sein, dass sein Weg zum Ziel der Bewahrung des Friedens führt. (S. 12)

Es stellt sich für mich natürlich die Frage, ob diese kirchliche Beschlusslage nach dem Ende des Kalten Krieges einer Änderung unterworfen war.

Ich fand folgende Äußerungen:
„Unter den heute gegebenen politische Bedingungen kann und muss das Verhältnis zwischen Waffenanwendung und Waffenverzicht aber neu bestimmt werden. Dabei zeigt sich eine Perspektive, in der die frühere Kontroverse überwunden werden kann.
Die Verhältnisse, unter denen die Politik der Aufgabe gerecht werden kann, der Verringerung und Verhinderung der Gewalt und dem Aufbau einer Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit zu dienen, haben sich gewandelt. Sie ist dafür am Wege präventiver und gewaltfreier Konfliktregulierung , an der Anwendung von Zwang unterhalb der Schwelle militärischer Kampfhandlungen, im Grenzfall auch an den Einsatz militärischer Gewalt gewiesen. Eine ‚vorrangige Option für die Gewaltfreiheit‘, die sich verantwortungsethisch versteht, und sich darum zur Verantwortung für den Schutz von Gewaltopfern bekennt, und der Grenzfall des Einsatzes präventiv bereitgehaltener Gewalt schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind notwendige Bestandteile einer auf die Herrschaft des Rechts gegründeten internationalen Friedensordnung . Die Kirche kann dementsprechend weder den Waffendienst noch den gewaltfreien Friedensdienst exklusiv vertreten. Sie muss den aus christlicher Verantwortung übernommenen Dienst der Soldaten anerkennen und seelsorgerlich begleiten.“ (S.22f)
Im Fortgang des Textes werden beide möglichen Entscheidungen eines Christen für oder gegen den Kriegsdienst aufeinander bezogen. Beide Entscheidungen seien erst im Bezug aufeinander „ein angemessenes Zeugnis für das Friedensgebot Gottes und damit indirekt für den christlichen Glauben.“ (S. 23)
Im Hinblick auf Ihre eigene Antwort finde ich folgende weitere Aussage sehr bedeutsam:
„Die Kriegsdienstverweigerer und die Friedensdienste sind aber auch auf die Soldaten angewiesen, damit ihr Handeln als Zeugnis christlicher Hoffnung verstanden und nicht als Ausdruck der fehlenden Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Friedensbruch mißdeutet wird.“ (S. 24)
Diese Aussagen von 1994 beinhalten den Konsens zwischen den ost- und westdeutschen Landeskirchen nach der deutschen Vereinigung. Ich stelle fest, dass sich die frühere Haltung der westdeutschen Kirchen zur Frage des Wehrdienstes in vollem Umfang auch in der wiedervereinigten EKD durchgesetzt hat.
Zuletzt habe ich die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 herangezogen. Einschlägig zum Thema Wehrdienst und Kriegsdienstverweigerung ist Abschnitt 2.3 (Ziff. 56-66):Die Gewissen schützen und beraten.
Die Hauptaufgabe der Kirche in diesem Zusammenhang wird dabei folgendermaßen bestimmt :
„Die Gewissen zu beraten , zu schärfen und für ihren Schutz einzutreten, gehört zu den elementaren friedensethischen Aufgaben der Kirchen.2 (Ziff.56)
„Letztlich bestimmend für den im Gewissen erfahrenen Gegensatz von Gut und Böse ist für Christen die Bindung an Gottes Wort in einer konkreten Situation. Auch das Urteil des im Glauben befreiten Gewissens bleibt allerdings fehlbar.“ (Ziff.59)
„Das christliche Ethos ist grundlegend von der Bereitschaft zum Gewaltverzicht (Mt 5,38ff) und vorrangig von der Option für Gewaltfreiheit bestimmt. In einer nach wie vor friedlosen, unerlösten Welt kann der Dienst am Nächsten aber auch die Notwendigkeit einschließen, den Schutz von Recht und Leben durch den Gebrauch von Gegengewalt zu gewährleisten (vgl. Röm 13,1-7). Beide Wege, nicht nur der Waffenverzicht, sondern ebenso der Militärdienst setzen im Gewissen und voreinander verantwortete Entscheidungen voraus.“ Ziff.60).
Der schon in der EKD-Schrift von 1994 vorgenommene gegenseitige Bezug von Entscheidungen für oder gegen den Wehrdienst wird in der Friedensdenkschrift wiederholt. Diejenigen, die den Wehrdienst ablehnen, sollten anerkennen, dass andere im Dienst der internationalen Rechtsordnung „dafür sorge , dass nicht Situationen eintreten, in denen das Recht ohne Durchsetzungskraft ist.“ (Ziff.61).
Wenn ich die ausführlich zitierten Passagen aus dem EKD-Text von 1994 und aus der Friedensdenkschrift von 2007 betrachte, stelle ich fest, dass sich der Brief von Landesbischof July in voller Übereinstimmung mit der kirchlichen Beschlusslage der EKD auch nach dem Ende des Kalten Krieges befindet.
Ich möchte nun auf Ihr Schreiben eingehen. Wenn ich Ihre Argumentation richtig verstanden habe, dann geht es Ihnen um drei Punkte. Sie betonen erstens die Feindesliebe der Christen als Richtschnur ihres Handelns und damit verbunden die Geltung des 5. Gebotes. Sie kritisieren einen Satz aus dem Schreiben Ihres Landesbischofs, wonach nach kirchlicher Meinung in der gegenwärtigen Weltlage das Gewaltmonopol des Staates einschließlich militärischer Machtmittel unverzichtbar sei. Und drittens verweisen Sie auf die europäische Geschichte des letzten Jahrhunderts, auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg, auf die große Zahl der Toten und auf die ermordeten Juden. Das Schuldbewusstsein der europäischen Christen für diese Toten und Ermordeten, für die Missachtung des Gebots der Feindesliebe, sei noch nicht vorhanden.
Zur Geltung des 5. Gebots haben die angeführten EKD-Texte ausgeführt, dass der Schutz des Nächsten nicht nur in Liebe und Zuwendung und in friedlicher Konfliktschlichtung besteht, sondern auch – als Grenzfall – im bewaffneten Eintreten für geschundene Menschen. Das ist ein Dilemma, so die Beschlusslage der EDKD, das die Kirche nicht auflösen kann. Ich möchte diesen, für uns einsichtigen Aussagen den Hinweis auf Luthers Auslegung des 5. Gebots im Großen Katechismus hinzufügen: Luther schreibt, gegen dieses Gebot verstoße nicht nur der, der seinem Nächsten Böses tut, sondern auch derjenige, der seinen Nächsten wehren, schützen und retten kann, dass ihm kein Leid noch Schaden am Leibe widerfahre, es aber nicht tut. Wer seinen Nächsten in Lebensgefahr sieht, ihn aber nicht rettet, obwohl man es könne, der hat ihn getötet. Die Begründung lautet wörtlich: „Denn du hast ihm die Liebe entzogen und der Wohltat beraubt, dadurch er bei dem Leben geblieben wäre. „ (BSELK 6. Aufl. S. 608)
Ihr zweiter Einwand richtet sich gegen einen Satz im Anschreiben von Landesbischof July. Dazu möchte ich auf Äußerungen im EKD-Friedenstext von 1994 hinweisen, Abschnitt III.2:
Grundlinien einer evangelischen Friedensethik:
„Für alle Wege und Mittel, den Frieden zu wahren und die Opfer von Gewalt zu schützen, gilt dasselbe Kriterium: Es ist im Austausche von Erfahrungen, Anhaltspunkten und Argumenten historischer, politischer und militärischer Art unvoreingenommen zu prüfen,, ob sie leisten, was sie leisten sollen. In diese Prüfung müssen auch die Bereithaltung militärischer Gewalt einbezogen werden. Wir knüpfen dabei an die Barmer Theologische Erklärung von 1934 an, wonach ‚der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.‘ Dementsprechend sehen wir es nicht als einen grundsätzlichen Widerspruch zu einer christlichen Friedensethik, vielmehr als eine notwendige, wenn auch nicht vorrangige Konkretion an, militärische Mittel zur Wahrung des Friedens und zur Durchsetzung des Rechts bereitzuhalten und notfalls anzuwenden.“ (S. 16)
Auch hier stelle ich fest, dass Bischof July nichts anderes geschrieben hat, als im Text von 1994 festgehalten wird. Darüber hinaus wird auf die Barmer Theologische Erklärung verwiesen. Es ist nicht so, dass lediglich der frühere Bundesminister Erhard Eppler zu den Aussagen von Bischof July stünde; vielmehr werden sie auch von der Barmer Erklärung und von der EKD gestützt und geteilt.
Ihr dritter Hinweis befasst sich mit den furchtbaren Kriegsopfern im Ersten und Zweiten Weltkrieg, sowie auf die ermordeten Juden. Sie folgern daraus, - so lese ich Ihren Brief – dass aufgrund dieser Ereignisse von Christen nie mehr militärische Gewalt angewendet werden en dürfe.
Die „Orientierungspunkte“ der EKD von 1994 machen dazu einige aufschlussreiche Aussagen:
„Die deutsche Politik kann auf keinem Feld von den Belastungen absehen, die sich aus der verbrecherischen Politik und Kriegsführung des nationalsozialistischen Deutschlands ergeben. Dies gilt auch für die mögliche Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen. Jedoch rechtfertigt die belastete Vergangenheit keine grundsätzliche Sonderrolle Deutschlands. …Gerade weil Deutschland militärische Gewalt in verbrecherischer Weise mißbraucht hat und durch den Einsatz militärischer Gewalt von einer Schreckensherrschaft befreit worden ist, hat das demokratische Deutschland allen Grund, sich im Rahmender Vereinten Nationen …an der Abwehr von Aggressionen und Friedensbedrohungen und an der Wiederherstellung des Rechts zu beteiligen.“ (S. 31)
Mit diesen Bemerkungen hoffe ich, die wichtigsten Anliegen Ihres Briefes aufgegriffen und beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
(gez.) Ernst-Reinhard Beck
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Ich antwortete MdB Beck am 12. Juli 2010:

Sehr geehrter Herr Ernst-Reinhard Beck,

wie schon angekündigt, will ich mich jetzt zu Ihrem Schreiben vom 10. Juni 2010 an mich äußern, für das ich mich nochmals bedanke.

1. Sie bringen Zitate aus drei Dokumenten der EKD von 1989, 1994 und 2007, die ich nach Erscheinen auch gelesen habe. Sie haben damit überzeugend nachgewiesen, dass sich unser Landesbischof mit seinem Brief an wehrpflichtige Christen „in voller Übereinstimmung mit der kirchlichen Beschlusslage der EKD auch nach dem Ende des Kalten Krieges befindet“ , sodass er sich durchaus auf solche und andere offizielle Dokumente der EKD berufen kann.

2. Meine Anfrage an den Bischof muss sich also zwingend auch an die Theologie und Politik der EKD richten. Nach meiner Überzeugung steht die Position der EKD in den zentralen Fragen der Gewaltanwendung im Widerspruch zu der „Guten Nachricht“ von Jesus Christus. Daraus ergibt sich auch, dass ich meine kritischen Anfragen, die ich aufrecht erhalte, nicht nur an unseren Landesbischof, sondern auch an die Evangelische Kirche in Deutschland, genauer an ihre offiziellen Sprecherinnen und Sprecher, richte.

3. Sie, sehr geehrter Herr Beck, haben bei aller Vielfalt der EKD-Gesichtspunkte das Gemeinsame darin korrekt dargestellt, dass diese Texte sowohl Kriegsdienstverweigerung als auch den Dienst der Soldaten für unverzichtbar halten und die gegenseitige Anerkennung von Soldaten und Kriegsdienstverweigerern fordern – dies sogar als Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der zwei verschiedenen Positionen, die kein Gegensatz sein, sondern sich ergänzen sollen.

4. Von dieser Position her haben Sie mir vorgehalten, dass meine Position nicht glaubwürdig oder verantwortbar sei, weil ich meinerseits die Aufrechterhaltung des Militärwesens in unserer Welt für unverantwortlich halte.

5. Die Behauptung der EKD Texte, dass sich KDV und Soldatenberuf ergänzen müssten, ist sicher von dem Interesse geleitet, den verteidigungspolitischen status quo nicht zu gefährden. Die Botschaft des Evangeliums, dass Jesus in den Fragen der Gewalt einen ganz anderen Weg geht, wird dabei verdrängt.

6. Die Behauptung, der Militärdienst sei weiter notwendig, um den „Schutz von Recht und Leben durch Gegengewalt zu gewährleisten“, empfinde ich angesichts der Tatsache, dass sich die Produzenten von Kriegswaffen und die Militärstrategen seit eh und je wenig um das unermessliche Leid der von kriegerischen Handlungen betroffenen Mitmenschen kümmern, äußerst fragwürdig.

7. Sie haben drei Punkte in meinen Brief an den Bischof angesprochen, den mir wichtigsten allerdings übergangen, dass nämlich im Schreiben des Bischofs die eigentliche Aufgabe der christlichen Kirche, das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden, nicht berücksichtigt wird.

8. Die Gewissheit und Hartnäckigkeit, mit der ich seit Jahren meine Überzeugung weiter sage, beruht darauf, dass ich das, was in den Gottesdiensten der christlichen Kirchen gebetet und gesungen, bekannt und verkündigt wird, für unvereinbar halte mit dem, was auf den „Schlachtfeldern“ der Geschichte, klein oder groß, damals oder heute geschehen ist und geschieht, nämlich die gezielte Vernichtung von Feinden. Auch wenn man sie als Hexen, Häretiker, Ketzer, Gottlose, Ungläubige, Irrgläubige, Schwärmer, Bolschewisten, Faschisten, Juden, Islamisten, Hamasleute, Talibane, Terroristen bezeichnet – es handelt sich doch in jedem Fall um Mitmenschen, deren Würde nach Artikel 1 unseres Grundgesetzes unantastbar ist, wie viel mehr ihr Leben.

9. Erinnert sei daran, dass meine Position, so ausgefallen sie erscheinen mag, eine tiefe Verwurzelung nicht nur in der biblischen Tradition, sondern auch in der Geschichte der historischen Friedenskirchen hat. Das Argument, diese Friedenskirchen, die ja bis heute lebendig sind, fielen quantitativ nicht ernsthaft ins Gewicht, kann nicht überzeugen: Was vor Gott und den Menschen wahr sein soll, entscheidet sich an den Inhalten, nicht an den Zustimmungszahlen. Und diese Inhalte sorgen nach wie vor dafür, in der Frage von Gewalt und Krieg die Gewissen wach zu rufen. So entsteht zur Zeit auch eine neue Grundsatzdiskussion um das Militärwesen, die vor allem durch den im 10. Jahr andauernden Einsatz von US- und Nato-Soldaten in Afghanistan genährt wird.

10. Einen überzeugenden Beleg dafür, dass dem in den EKD-Texten geforderten Bündnis zwischen Kriegsdienstverweigerern und Soldaten von prominenter Seite der Abschied gegeben wird, finde ich im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg 26/2010 unter der Überschrift „Eine Gute Nachricht“ und einem Bild von Konrad Raiser.
Da heißt es:
Gewaltfreiheit ist nach Ansicht des ehemaligen Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) Konrad Raiser (Foto) entscheidend für einen gerechten Frieden in der Welt. Zum Abschluss der „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ kündigte Raiser für das kommende Jahr eine Erklärung an. Darin soll das Konzept eines gerechten Friedens nicht mehr Ausdruck eines Bündnisses zwischen Pazifisten und Vertretern des „gerechten Krieges“ sein. Ein gerechter Friede, so Raiser, müsse Feindschaft, Ausgrenzung und Unterdrückung überwinden (Hervorhebung von mir).

11. Solchen hoffnungsvollen Entwicklungen stehen Rückfälle in längst vergangene Zeiten gegenüber: Ein Beispiel dafür ist die öffentliche Vereidigung, die im Stuttgarter Neuen Schloss trotz des Protestes vieler Bürgerinnen und Bürger am 30.Juli 2010 stattfinden soll. Was sagt unser Bischof dazu? Und was wird er im August 2010 in seinem jährlichen Brief an christliche Wehrpflichtige schreiben?
Meine Überzeugung, dass sich das Soldatengelöbnis und die christliche Taufe nicht ergänzen, sondern gegenseitig ausschließen, habe ich in folgenden Zeilen festgehalten:

Taufe und Fahneneid

Durch die christliche Taufe werde ich eingefügt in die Gemeinschaft der christlichen Kirche auf Erden. Sie ist gegründet auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus aus Nazareth. In seinen Worten und Taten, seinem Leiden und Sterben zum Heil der Mitmenschen erkenne ich den Willen Gottes, wie er auf Erden geschehen soll.

Ich unterstütze jede staatliche Ordnung, die nicht im Widerspruch zum Gebot der Gottesliebe, Nächstenliebe und Feindesliebe steht.

Ich widerstehe dem Missbrauch staatlicher Gewalt, den ich in der Verletzung der Menschenwürde erkenne. Insbesondere verweigere ich den Eid, der mich zum Gebrauch von Waffen verpflichtet, durch die Gottes Schöpfung verwüstet wird und Menschen getötet werden.

12. Die Frage nach der Zukunft der Bundeswehr ist höchst aktuell geworden. In der jüngsten Nummer von Publik-Forum (13/2010) setzt sich Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Präses der Synode der EKD für die Abschaffung der Wehrpflicht ein, während Hermann Striedl, stellvertretender Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei, gegen die Entstehung einer Berufsarmee argumentiert. Ich setze mich als Pfarrer i.R. für die generelle Überwindung des Militärwesens ein Darin sehe ich eine der wichtigsten politischen Aufgaben für das 21. Jahrhundert.

Werner Dierlamm

P.S. vom Februar 2011
Die inzwischen ausgsetzte Wehrpflicht und die offenkundige Schwierigkeit, genug Freiwillige für eine Berufsarmee zu finden, verstärkt in mir die Hoffnung gegen den Augenschein, dass das „Waffenhandwerk“ keine Zukunft hat. Unter „Waffenhandwerk“ verstehe ich die Ausbildung an Werkzeugen, die zum Töten von Menschen entwickelt worden sind - und die Anwendung dieser Tötungsmaschinen auf Befehl irgendeiner „Obrigkeit“, sei es ein deutscher Verteidigungsminister oder der Chef einer kämpfenden Truppe der Taliban.

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