Dienstag, 25. Mai 2010

Pazifismus und Theologie

Vorbemerkung

Das Folgende ist zunächst ein Versuch, für mich selbst ein zentrales Thema zusammen zu fassen, das mich zeitlebens beschäftigt hat. Zugleich habe ich das Bedürfnis, darüber mit anderen interessierten Menschen ins Gespräch zu kommen. Was ich geschrieben habe ist nicht fertig. Es ist der Vorteil dieses Blogs, dass es möglich ist, es auch zu verändern. So habe ich um die Jahreswende 2010/2011 begonnen, die einzelnen Teile nochmals durchzulesen, zu verbessern, Zwischenüberschriften einzufügen, auch Manches umzuschreiben.

Variationen zu einem Thema

Kaum jemand kann sich heute Zeit nehmen, 40 oder 50 Seiten am Stück zu lesen. Es ist auch nicht nötig. Ich schreibe in gewisser Weise "immer das Gleiche". Aber es sind Variationen zu dem einen Thema "Pazifismus und Theologie". Leserinnen oder Lese mögen herausgreifen, was sie interessiert.

Für mein Gesamtthema habe ich ein vorläufiges Inhaltsverzeichnis mit acht Überschriften zu Einzelthemen erstellt:

Inhaltsangabe

1. Biographisches

1.1.Familie Dierlamm im Krieg . Brief an meinen Enkelsohn
1.2.Heirat und Kinder
1.3.Stationen

2. Theologen und ihr Verhältnis zum Militärwesen

2.1 Albert Schweitzer
2.2 Karl Barth
2.3 Dietrich Bonhoeffer

3. Die Bibel und der Krieg

3.1 Altes Testament und Geschichte Israels
3.2 David und Jesus
3.3 Paulus und seine Botschaft von Jesus Christus
3.4 Jesus Christus und die Bergpredigt
3.5 Das Vaterunser

4. Kann man noch glauben?

4.1 Abschied von Dogmen?
4.2 Der Himmel ist kein Ort (Dieter Wellershoff)

5. Kirchengeschichte

5.1 Christentum
5.2 Christliche Kirche auf Erden

6. Aktionen

6.1 An alle Christen: Ohne Rüstung Leben (1977)
6.2 Ökumenisches Montagsgebet für den Frieden in der Welt (2001)
6.3 An alle Christinnen und Christen: Den Krieg nicht mehr lernen (2007)
6.4. Brief an Landesbischof Frank Otfried July (2010)

7. Juden, Christen, Muslime

7.1 Israel, Wurzel zweier Weltreligionen
7.2 Juden und Christen
7.3 Das Kairos-Palästina-Dokument

8. Verheißung und Erfüllung

1.1 Die Familie Dierlamm im Krieg. Brief an meinen Enkelsohn

Zwischenüberschriften sind später von mir kursiv eingefügt

Lieber Fabian,

Ich berichte, wie ich den Zweiten Weltkrieg erlebt habe, weil diese Erfahrungen sicher meinen „Pazifismus“ wesentlich bestimmt haben.

Wie ein Zwölfjähriger den Beginn des 2. Weltkriegs erlebt hat

Ich war im Jahr 1939, als der Krieg ausbrach, zwölf Jahre alt.
Ich erinnere mich noch, dass ich damals erregt, ja auch in einer gewisser Weise begeistert war, weil ein „Krieg“ natürlich für einen Zwölfjährigen etwas ganz Neues war und alle Welt an dieser Erregung teilhatte, obwohl es 1939 bei weitem keinen solchen Begeisterungssturm gab wie 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Ich sagte mir aber auch, dass ich mich eigentlich nicht begeistern dürfe, denn „Krieg“ sei doch etwas Schreckliches. Aber das war Theorie ohne Erfahrung.

Großartige Siege am Anfang

Dann kamen die ersten Kriegsjahre, in denen die Deutschen auf allen „Schlacht“feldern siegten. Über das Wort Schlachtfeld lohnt es sich nachzudenken. Man kann den Krieg durchaus mit einem Schlachthaus für Menschen vergleichen. Aber Siegen ist nun einmal schön. Und es hat gewiss wenig Menschen in Deutschland gegeben, die nüchtern genug waren, schon in den Jahren des Sieges nicht nur am sogenannten Endsieg zu zweifeln, sondern vor allem das Verbrechen inmitten dieser Siege zu erkennen, denn es handelte sich ja um Angriffskriege, die Hitler vom Zaun gebrochen hatte. Wir alle sind ans Radio gelaufen, wenn neue Sonder- und Siegesmeldungen durch die gleichen aufrüttelnden Klänge angemeldet wurden. Ich habe nach dem Krieg viele Briefe lesen können, die meine Mutter, Deine Urgroßmutter, in dieser Zeit geschrieben hat. Obwohl sie alles andere als eine Anhängerin Hitlers war (ich erinnere mich, dass sie einmal sagte, wahrscheinlich lang vor dem Krieg: „Hitler, das ist der Teufel“), schrieb sie einmal während des Frankreichfeldzugs 1940 etwas von unseren tapferen Soldaten und großartigen Siegen oder so ähnlich.

Keine Nachrichten vom ältesten Bruder Gerhard in Russland

Dann kamen die ersten Todesanzeigen von jungen Männern aus unserer Verwandtschaft, die gefallen waren, und meine Mutter äußerte sich schon sehr traurig und pessimistisch, dass es wohl für unsere Familie noch am schlimmsten käme. Mein ältester Bruder Gerhard, Jahrgang 1920, Medizinstudent, war bei Ausbruch des Krieges 19 Jahre alt. Er ist sicher bald eingezogen worden. Ich glaube nicht, dass er vom ersten Tag an beim Feldzug gegen Russland, der 1941 begonnen wurde, dabei war. Aber ich erinnere mich, dass im Spätjahr 1942 keine Nachrichten mehr von Gerhard aus Russland kamen. Da war es schon mit den ersten großen Siegen und Kesselschlachten vorbei, bei denen Zehntausende oder gar Hunderttausende von Russen eingekesselt wurden und in Gefangenschaft gerieten. Die Deutschen waren im Winter 1941 vor Moskau stecken geblieben. Jetzt gab es Leute, die an Napoleons Desaster erinnerten, als er 1812 am russischen Winter scheiterte.

Wie ein Verwandter von uns den Krieg erlebt und beschreibt

Hier mache ich einen Einschub und berichte, was ein verwandter Vetter von uns, Martin Dierlamm aus Altburg bei Calw, Pfarrerssohn, an einen Kreis von Mitstudenten in Tübingen geschrieben hat. Er war sehr begabt, schrieb Gedichte und hatte schon früh Todesahnungen, wie das folgende Gedicht zeigt. Er hat auch äußerst realistisch und ehrlich über die Kämpfe in Russland berichtet, bei denen er schließlich als Offizier gefallen ist. Seine Sicht der Dinge ist typisch für viele in seiner Generation, auch aus den christlichen Familien. Er kämpft (und stirbt den Heldentod) fürs Vaterland und sieht das Ganze als eine Art Gottesdienst an. Er hat keinerlei Skrupel und Zweifel, dass dieser Krieg richtig ist und der „Feind“ vernichtet werden muss. Sein Gedicht hat die Form eines Gebetes („Mit Gott“ stand auf vielen Koppelschlössern des Ersten und Zweiten Weltkriegs):

Ein Gedicht von Martin Dierlamm, das die Ahnung seines frühen Todes enthält

Sei du
Tag und Geleit:

Die Todnacht harrt mein schon.
Ich zittre vor dem Streit
Mit seiner Furcht und Drohn.

Sei du mir nahe, Herr,
damit der kühnste Mut,
der männlichste Begehr
voll Demut in dir ruht.

Ich bin im Kampf verbissen,
verschworen dem Befehl.
Mach du dein großes Wissen
in meinem Herzen hell!

Nimm du mein kleines Herze
In deine große Hand.
Es glüht wie eine Kerze
Fürs heilge Vaterland.

Umspanne du mein Haus,
das in der Heimat steht,
und mich Soldat da drauß,
dass keins vom andern geht.

Brich über mein Verderben
Wie Sonnenschein herein,
dann wird mein junges Sterben
wie junger Aufgang sein.

Herr kläre mir den Blick,
mach mich in Reinheit fest!
Das dunkelste Geschick
Sei mir das hellste Fest!

Martin Dierlamm in den ersten Kriegsjahren.
Den Abfassungstermin dieses Gedichts konnte ich nicht mehr feststellen.
Aus den „Strahlenbriefen“, Korrespondenz der Tübinger Nicaren im Zweiten Weltkrieg

Die Wirklichkeit des Krieges in Russland

Martin Dierlamm am 9. September 1941:

Das Erlebnis der Führungskunst, das Geheimnis des Sieges...

„Es ist nicht leicht, sich ein Bild vom russischen Feldzug zu machen. Wir liegen seit nahezu vier Wochen fast am selben Fleck und haben es ruhig. Zunächst vorne am Dnjepr als Sicherung und dann als Ablösung durch das ungarische Schnellkorps etwas weiter zurück in vollkommener Ruhe. Während sie sich daheim unser Dasein unter Kannibalen vorzustellen versuchen, freuen wir uns an täglichen kleinen Gesellschaften mit Kuchen und Kaffee, baden und veranstalten Schützenfeste. Aber dann wird es plötzlich wieder losgehen, und es werden wieder Wochen ununterbrochener Kämpfe und Anstrengungen kommen. Es wechseln also auch in Russland durchaus erträgliche Zeiten mit den Strapazen, wenigstens bei uns in der Ukraine. ...
Und zwar ist es hier vor allem das Erlebnis der Führungskunst, die das Geheimnis unserer Erfolge ist. Vorstoßen in nach europäischen Begriffen endlose Räume und dennoch getragen sein können von dem großen Vertrauen: Jeder Kilometer ins scheinbar Unendliche ist von der Führung gewollt. Und nur als Soldat an der Front empfindet man das Nichtselbstverständliche der Siege in seiner ganzen Größe. Der Volksgenosse daheim wartet auf den täglich erfolgreichen Wehrmachtsbericht, in Ruhe und Gewissheit, so wie das tägliche Aufstehen selbstverständlich ist. Wir vorne erleben das Risiko in seiner ganzen Spannung mit, die vielen ‚Zufälligkeiten’, die zum Siege führen oder ihn verscherzen lassen. Wir kennen das Dennochsiegen und den Erfolg ‚trotz allem’ . Und das lässt das Geleistete viel größer erscheinen...

Kameradschaft

Am 11. 7. war unser Bataillon eingeschlossen. Die Leibstandarte Adolf Hitler kam uns zu Hilfe...Es waren anstrengende Tage mit schlaflosen Nächten – die Russen griffen auch in der Nacht an -, aber doch voll prächtiger Kameradschaft, besonders auch mit der Leibstandarte. Jeder war auf den anderen angewiesen. Mein Zug schoss 6 Panzerkampfwagen ab. Hier lernten wir das Grausame an diesem Krieg ertragen, das immerhin ein Neues für uns war. Und wir lernten, mit den entsprechenden Mitteln darauf zu antworten, den Mitteln der radikalen Vernichtung. Man wird das daheim nie recht begreifen können, weil ein eigenes Erleben voraus gegangen sein muss...“

(Aus Strahlenbriefe 1941 S. 134 u. 135)
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Ein ehrlicher und zugleich entsetzlicher Bericht

Martin Dierlamm berichtet am 25. März 1943 von der Schlacht um Orel:“

„ Wir sind eigentlich nur kurz im Brennpunkt der Kämpfe eingesetzt gewesen. Aber ein paar Tage haben genügt, um unser Bataillon zu einem Häuflein zu machen. So bitter die Verluste gewesen sind, so ungebrochen und hart sind wir daraus hervorgegangen. Der Geist der Männer war nie zuversichtlicher, unverwüstlicher und unbeugsamer als nach dieser Zerreißprobe der Panzer und Kanonen. Sie sind gestanden, und wenn sie oft nicht mehr ganz beim Bewusstsein waren vor Übermüdung und Überbeanspruchung, so sind sie im Dämmerzustand gestanden, an das M.G. angeklammert und ließen die Garben hinausfetzen. Sie haben keinen Meter Boden preisgegeben, und rechts lagen vier oder fünf zerfetzte oder verschüttete Kameraden und links keuchte ein Verwundeter. Wir waren in jenem Zustand, wo jedes Gefühl erstarrt, alle Angst ausgeschaltet ist, wo man abgestumpft und unempfindlich gegen Gefahr und Schmerz ausharrt, bis man weggefegt oder verschont wird. Und schon in der Stunde der Ablösung, beim Sammeln in der nächsten Mulde ist ein Lied da, aus dem dieses Jauchzen bricht, das die wenigen Kameraden nach der Schlacht im Bewusstsein der Bewahrung zusammenbindet: Man hat die Probe wieder einmal bestanden! Stärker und kühner wird einen die neue Stunde finden.
Mitte Februar machte unser Bataillon ein Stoßtruppunternehmen, an dem ich mit meiner Kompanie maßgeblich beteiligt war. Wir rollten etliche Kilometer des russischen Grabens auf. Das ist die Seite des Krieges, die einem Spaß macht und bei der die alten Kradschützentugenden sich mehr zeigen können. Der Rundfunk hat ziemlich viel darüber gebracht. Jetzt liegen wir in einem augenblicklich sehr ruhigen Abschnitt und kämpfen gegen Wasser und Schlamm.“

(Aus: Die Strahlenbriefe Seite 77-78)
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Die Wirklichkeit an der "Heimatfront": Die Trauer meiner Mutter um ihren erstgeborenen Sohn

Solche Briefe, lieber Fabian, gab es von meinem Bruder Gerhard nicht. Da waren höchstens einige „Feldpostkarten“ da mit wenigen darauf gekritzelten Sätzen.
Und als die ausblieben, fing die große Not für unsere Familie an. Meine Mutter wartete von Tag zu Tag auf Post von ihrem ältesten Sohn – vergeblich. Von Tag zu Tag wuchs die Angst, dass er gefallen war, und dass statt einer Feldpostkarte die Todesnachricht eintreffen werde, oder dass er einfach „vermisst“ war und gar nichts mehr von ihm kam.
Meine Mutter brach jetzt immer wieder in Tränen aus und ihr langgezogenes Weinen schreckte mich oft auf, wenn ich meine Schularbeiten machte oder sonst wie im Hause beschäftigt war. Das ist vielleicht meine schmerzhafteste Erinnerung an den Krieg, so viel Schlimmeres auch später noch folgte. Nach meiner Erinnerung kam dann im Februar 1943 die Todesnachricht. Er sei gefallen bei Rschew. Ein Parteimann in Uniform hat wohl meiner Mutter die Nachricht überbracht. Ich habe nur eine dunkle Erinnerung, wie sie meinem heimkehrenden Vater mitteilte, dass Gerhard gefallen sei.

Mein Bruder Helmut, Soldat im schönen Land Italien

Mein zweiter Bruder, Helmut, Jahrgang 1925 war sehr musikalisch, heiter veranlagt, kontaktfähig. Als Kinder haben wir oft gestritten, später wurden wir gute Freunde. Er hat wohl 1943 das sogenannte Notabitur gemacht und war dann auch eingezogen worden. Im Juli 1943 waren Amerikaner und Engländer in Sizilien gelandet und fingen an, das mit Deutschland verbündete Italien zu erobern. Helmut wurde Soldat im schönen Land Italien und ich erinnere mich noch gut, wie er davon schwärmte. Es war nach meiner Erinnerung die große Schlacht bei Monte Cassino (Januar bis Mai 1944), in der er leicht verwundet wurde. Seine Fleischwunde durfte er in Dinkelsbühl ausheilen. Ich habe lebhafte, freundliche Erinnerungen an diese Zeit. Er hatte seine Geige wieder und war oft auf der Orgel zu finden.

Die Sorge um Elfriede, die kranke Schwester

Unserer einzigen Schwester Elfriede, Jahrgang 1922, ging es dagegen nicht gut. Sie war an Schizophrenie erkrankt, konnte nirgends dauerhaft arbeiten, war in ärztlicher Behandlung, im Sanatorium in Oberursel bei Frankfurt. Es war der Tod von Gerhard und die Krankheit von Elfriede, die unser Familienleben in den letzten Kriegsjahren außer der Angst, wie das alles noch ausgehen werde, besonders belastete.

Ich selbst, Jahrgang 1927

Ich selbst, Jahrgang 1927, war der Jüngste in der Familie, habe nach meiner Erinnerung eigentlich nur sechs Jahre lang die Karls-Oberschule in Heilbronn besucht, wurde ab 1943 auch in die Kriegswirren hineingezogen, wurde als Luftwaffen- oder Flakhelfer (Flak = Flugzeugabwehrkanonen) notdürftig am Scheinwerfer oder auf dem Wartberg am Telefon ausgebildet und kam im Herbst 1944 zur Flak nach Kornwestheim.

Angriff und Gegenangriff - das Gesetz der Vergeltung - und die Folgen

Damals begann der letzte Akt unserer Familientragödie.
Die größenwahnsinnige und verbrecherische Politik von Adolf Hitler und seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP, verächtlich NAZI genannt) musste den Widerstand der bedrohten und angegriffenen anderen Völker hervorrufen. Es musste so kommen, wie es im Lauf der Jahrtausende immer wieder geschehen ist. Die vom Tyrannen bedrohten Völker und Nationen griffen zu den Waffen und versuchten den Angriff mit aller Kraft abzuwehren. Im Zweiten Weltkrieg ist das den Alliierten (den Völkern, die sich gegen Hitler verbündet haben) auch gelungen. Dem von Hitler ausgerufenen totalen Krieg folgte die totale Niederlage und die Zerschmetterung Deutschlands. Mit dem angeblich tausendjährigen Dritten Reich war es schon nach zwölf Jahren vorbei. Aber um welchen Preis! Es gab im zweiten Weltkrieg etwa 55 Millionen Tote. Und Deine Urgroßeltern mit drei von ihren vier Kindern waren auch unter den Toten.

Die Völkerschlacht von Leipzig

Ich habe in diesen Tagen einen Text ausfindig gemacht, der 1812 von Ernst Moritz Arndt gedichtet wurde. Da hieß der Tyrann Napoleon und die Angreifer waren die Franzosen, gegen die sich vor allem Preußen, Österreicher, Russen und Schweden verbündeten. Wenn man diesen Gedicht liest, kann man verstehen, mit welcher Begeisterung, Wut und Kraft sich die Völker in der Völkerschlacht von Leipzig im Oktober 1813 auf die Truppen Napoleons stürzten und ihm in diesem Befreiungskrieg eine entscheidende Niederlage beibrachten:

und wie Ernst Moritz Arndt Gott in diesem Krieg auf seiner Seite wusste

1.
Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte,
drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
dem Mann in seine Rechte,
drum gab er ihm den kühnen Mut,
den Zorn der freien Rede,
dass er bestände bis aufs Blut,
bis in den Tod die Fehde.

2.
So wollen wir, was Gott gewollt,
mit rechten Treuen halten,
und nimmer im Tyrannensold
die Menschenschädel spalten;
doch wer für Tand und Schande ficht,
den hauen wir in Scherben,
der soll in deutschen Landen nicht
mit deutschen Männern erben.

3.
O Deutschland, heil’ges Vaterland!
O deutsche Lieb’ und Treue!
Du hohes Land, du schönes Land!
Dir schwören wir aufs neue:
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der fütt’re Krähn und Raben.
So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.

4.
Lasst brausen, was nur brausen kann,
in hellen, lichten Flammen!
Ihr Deutsche alle, Mann für Mann,
zum heilgen Krieg zusammen,
und hebt die Herzen himmelan
und himmelan die Hände
und rufet alle , Mann für Mann:
„Die Knechtschaft hat ein Ende!“

5.
Lasst klingen, was nur klingen kann,
die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute Mann für Mann
Mit Blut das Eisen röten,
mit Henkersblut, Franzosenblut –
o süßer Tag der Rache !
Das klinget allen Deutschen gut,
das ist die große Sache!

6.
Lasst wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut’ uns Mann für Mann
Zum Heldentode mahnen.
Auf, fliege, stolzes Siegspanier,
voran den kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süßen Tod der Freien.

[ Von E..M. Arndt gibt es übrigens auch die bekannten Lieder in unserem Evangelischen Gesangbuch, das Abendmahlslied „Kommt her, ihr seid geladen, der Heiland rufet euch“ (213) und das Glaubenslied „Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht...“ (357) aber auch radikal antisemitische Äußerungen]

Es ist im neuen Gewand immer das Gleiche: religiöse (oder säkulare) Rechtfertigung des gerechten Krieges

Lieber Fabian, vergleiche mal diese Verse mit den Kriegsberichten von Martin Dierlamm genau 130 Jahre später! Es ist derselbe Geist, dieselbe Todesbereitschaft, derselbe Feindeshass, dieselbe fromme Gesinnung („mit Gott!“), aber wie viel schrecklicher erscheint die Wirklichkeit im Zweiten Weltkrieg!

Die Gestalt des Krieges wandelt sich - das Morden bleibt gleich - und das Leid der Überlebenden

Neu ist im Zweiten Weltkrieg vor allem der Luftkrieg über der sogenannten „Heimatfront“ . Der Krieg wurde durch Bomben in die Heimat der Soldaten getragen, die draußen im Feindesland kämpften. Auch mit dem Luftkrieg im großen Stil hatte Hitler angefangen. Ich habe noch seinen Spruch von der tausendfachen Vergeltung in den Ohren: „Eine Bombe auf Westdeutschland, tausend Bomben auf England.“ Nach dem Sieg über Frankreich wollte er Großbritannien erobern, oder durch den Luftkrieg in die Knie zwingen. Aber es kam anders. Eine deutsche Stadt nach der anderen wurde durch alliierte Bomber in Schutt und Asche gelegt.

Familie Dierlamm im Krieg. Tod meiner Großmutter

Zurück zu unserer Familie.
Am Abend des 10. September 1944 starb mein Großmutter mütterlicherseits, Deine Ur-Ur-Großmutter. Am gleichen 10. September 1944 war bei Tag ein Luftangriff mit etwa 100 Flugzeugen. Ich stand vor dem Haus und sah noch, wie die ersten Bomben ausgeklinkt wurden; sie sorgten dafür, dass ich blitzschnell im tiefen Keller verschwand. Die Bomben trafen aber vor allem den Vorort Heilbronn-Böckingen, wo damals mein Vater Lehrer war. Ich habe dann mit Schülern und Schülerinnen aus unserer Schule an der Beseitigung von Trümmern gearbeitet (an die Schülerinnen erinnert sich ein Siebzehnjähriger besonders gern.) Wie viel Menschen damals umgekommen sind, weiß ich nicht.
Ich habe mich bei Google versichert, dass der Luftangriff und der Tod meiner Großmutter, die bei uns in der Nordbergstraße hinter dem Stadttheater wohnte (weit entfernt von Böckingen) tatsächlich am gleichen Tag erfolgte. Sie war altersschwach. Die Schrecken des 4. Dezember 1944 sind ihr erspart geblieben.

Als Flakhelfer in Kornwestheim

Ich wurde in diesem Herbst 1944 zum ersten Mal als Flakhelfer eingezogen. Es wird wohl im Oktober gewesen sein. Wir sollten in Kornwestheim den dortigen Güterbahnhof vor Luftangriffen schützen. Ich war kein Kanonier an den 3,7 Flakgeschützen, kleineren russischen Beutekanonen, sondern bediente das Telefon im Unterstand. Einmal wurden wir bei Nacht angegriffen. Bomben schlugen in unserer Stellung ein. Ich weiß noch, dass ich keine übermäßige Angst hatte und die Bemerkung machte, es könne sein, das wir jetzt sterben müssten. So habe ich es jedenfalls in Erinnerung.

Meine Mutter besucht mich an meinem Geburtstag

Am 18. November 1944 war mein 17. Geburtstag, Meine Mutter besuchte mich. Ich erinnere mich, dass wir gemeinsam auf einer Bank saßen.

Die Reise meiner Mutter von Heilbronn nach Kornwestheim

Die Reise mit der Bahn von Heilbronn nach Kornwestheim und zurück war abenteuerlich. Sie hat darüber in einem Brief vom 19. November 1944, berichtet, den ich eben noch einmal gelesen habe. Schon bei der Hinfahrt nach Kornwestheim wurde der Zug aus einem Flugzeug mit Bordwaffen beschossen: „Es gab eine unbeschreibliche Aufregung, die Leute waren z.T. völlig kopflos, stürzten durchs Fenster ins Freie und rannten dann im Gelände, das kaum Deckung bot, in großer Aufregung hin und her. Ich legte mich im Wagen einfach auf den Boden, so gut wie möglich Deckung suchend. Die Lokomotive erhielt Treffer, wurde repariert, ausgewechselt. In Lauffen gab es einen zweiten Angriff. ...etwa um halb fünf Uhr war ich dann auch bei Werner...die Freude Werners, dass ich kam, ließ mich die Gefahr der Reise vergessen."

Die Rückreise nach Heilbronn

"Die Rückreise, die 18.27h beginnen sollte, begann mit zwei Stunden Verspätung. Bis auf die Knochen durchkältet, war man unendlich froh, als man im ungeheizten Zug saß. In Bietigheim gab es wieder zwei Stunden Aufenthalt." Es war ausgemacht, dass mein Vater (Jon) meine Mutter am Hauptbahnhof Heilbronn abholen sollte.

Mitten in der Nacht

"In Heilbronn nach 1 Uhr nachts dickster Nebel, Jon nicht am Bahnhof, glücklicherweise, denn ich kam ja mit 5 Stunden Verspätung an, er blieb um Elfriedes willen daheim, die sich offenbar fürchtete, allein zu bleiben. Auf dem Heimweg begegnet sie in der totalen Finsternis zwei Männern. Einer redet sie in schlechtem Deutsch an und fragt sie nach einer Straße. Den ganzen Tag hatte ich keine Angst gehabt, aber die zwei, ich weiß ja nicht, ob sie Böses im Schilde führten, waren mir derart unheimlich, dass ich das letzte Stück meines Weges, das ich allein machen musste, rannte, immer in der Angst, sie kämen hinterdrein....Lange Zeit ging das letzte Erlebnis mit mir, auch jetzt noch fühle ich ein Grauen, wenn ich daran denke."

Das schreibt meine Mutter vierzehn Tage vor ihrem Tod. Es ist der letzte Brief, den ich von ihr habe.

Der Luftangriff der Allierten auf Heilbronn am 4. Dezember 1944

Über Sonntag, 3. Dezember 1944, bekam ich einen Tag Urlaub. Am Sonntagabend fuhr ich zurück nach Kornwestheim. Die meisten Menschen in Heilbronn verbrachten die Nächte seit Wochen in den Kellern. Denn immer wieder hatte ein einzelnes Flugzeug ohne Vorwarnung durch Fliegeralarm eine schwere Luftmine über der Stadt abgeworfen und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt.
Am 4. Dezember 1944 erfolgte dann der lang erwartete Großangriff auf Heilbronn, den wir von Kornwestheim aus beobachteten. In der Ferne der Feuerschein der brennenden Stadt, über uns das Dröhnen der Bombenflugzeuge, von denen eines in Brand geraten war. Ich denke an die sterbenden Menschen in der Stadt, auch in den Flugzeugen.

Nach dem Angriff. Die Suche nach Eltern und Schwester

Ich glaube, es war am Donnerstag, 7. November, als ich Urlaub bekam, um nach dem Schicksal meiner Familie in Heilbronn zu forschen. Es handelte sich um Vater, Mutter und Schwester, Helmut war an der Front in Italien. Im Zug nach Heilbronn gab es natürlich kein anderes Thema als den Angriff am vorangegangenen Montag. Von vielen Toten war die Rede. Mir wurde zum ersten Mal richtig bewusst, dass auch meine Angehörigen tot sein könnten. Ich war ganz benommen. Ich übernachtete bei einem Freund in Böckingen. Ich weiß nicht mehr, wo ich ihn traf.
Am anderen Morgen, Freitag, 8. Dezember ging ich durch die Trümmer der Stadt Heilbronn zur Nordbergstraße. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich viele Tote. In der Hauptstraße vom Bahnhof ins Stadtinnere lagen sie schon in Reihen nebeneinander zum Abholen im Massengrab. Später lagen an vielen Stellen noch die Leichen durcheinander, manche schwarz verkohlt. Die Nordbergstraße war nur noch ein Trümmerhaufen. Alle Häuser waren total zerstört und abgebrannt. An manchen stand ein Kreidezeichen mit Lebenszeichen ehemaliger Bewohner.

Im Keller der Nordberstr. 22

An unserem Haus fand ich kein Zeichen.
Wir hatten einen tiefen, alten Weinkeller, der Schutz versprach mit einer Ausstiegs-Luke. Durch diese Luke bin ich in den Keller hinabgestiegen und ich war nicht allein. Bei mir war eine Freundin meines Bruders Helmut, Maria Renz. Jetzt merke ich, dass meine Erinnerungen lückenhaft sind. Wie kam es, dass sie dabei war? War es reiner Zufall? Hatte der Freund in Böckingen, bei dem ich übernachtete, sie telefonisch erreichen können? Ich weiß auch nicht mehr sicher, ob sie mit in den Keller hinabstieg. Unten fand ich zwei Leichen. Wir wohnten in der Nordbergstraße in Miete im Haus des verstorbenen Dekans Eytel, seine Witwe wurde im Rollstuhl in den Keller gebracht, bei ihr hat ihre Tochter, die Konzertsängerin Meta Sindlinger-Eytel ausgehalten. Die anderen Bewohner des Hauses haben im Feuersturm den Keller verlassen und ihr Leben vergeblich zu retten versucht. Über das Ende meiner Eltern und meiner armen Schwester, die so viel Angst hatte, weiß ich nichts. Ich weiß nicht einmal, ob mein Vater an diesem Montagabend zuhause war und ob sie miteinander starben.

Das Massengrab

Später besuchten wir das Massengrab, wo alle diese Toten liegen, heute ein großer Friedhof.

Helmut lebt noch.Weihnachten und Silvester 1944

Noch lebte mein zwei Jahre älterer Bruder Helmut. Er bekam Heimaturlaub im Dezember 1944. Es gab freundliche Menschen, die uns einluden, uns beherbergten, bei denen wir Weihnachten verbrachten. Ich weiß nicht mehr, was ich mit ihm gesprochen habe, es war eine unfassliche Zeit. Genau erinnere ich mich, dass ich mit ihm an Silvester 1944 auf dem Bahnhof in Heilbronn stand und Abschied von ihm nahm. Er musste zurück an die Front nach Oberitalien. Es kam jahrelang keine Nachricht mehr von ihm, auch keine Vermisstenmeldung, nichts. Ich ließ ihn für tot erklären um die alleinige Verfügung über das schmale Erbe zu bekommen, das meine Eltern hinterlassen hatten.
Es war ein Bausparvertrag im Wert von 30 000 Reichsmark, die nach der Währungsreform 1948 auf 3000 DM zusammenschmolzen.

Helmuts Tod und meine Gefangenschaft

Erst nach 1950 bekam ich eine Meldung, dass Helmut Dierlamm am 20.April 1945 gefallen sei. Am selben Tag kam ich in Holzmaden auf der Schw. Alb auf dem Weg nach Kirchheim/Teck in amerikanische Kriegsgefangenschaft, am selben Tag „feierte“ Adolf Hitler im Führerbunker in Berlin seinen 56. Geburtstag. Zehn Tage später brachte er sich um.

1989 in Costermano am Gardasee

In meinem letzten Dienstjahr 1989 waren wir im April in Costermano am Gardasee. Dort liegt der drittgrößte Friedhof gefallener deutscher Soldaten in Italien. Das wussten wir bis dahin nicht. Am 20 April 1989 haben wir das gemeinsame Grab von Helmut und einem Kameraden gefunden. Im neu aufgelegten Gästebuch notierte ich auf der ersten Seite: „Heute vor 100 Jahren wurde Adolf Hitler geboren. Heute vor 44 Jahren ist mein Bruder Helmut Dierlamm noch nicht zwanzig Jahre alt gefallen.“ Bevor wir aus dem Urlaub heimfuhren, haben wir nochmals in dies Gästebuch hineingeschaut. Meine Zeilen waren mit schwarzem Filzstift unkenntlich gemacht. Darunter stand der Satz: „Für uns gibt es nur Helden.“ Und unflätige Bemerkungen.

Über meine Kriegsgefangenschaft vom 20. April bis 23. (?) Juli 1944 könnte ich noch manches erzählen, vor allem, dass es die einzige Zeit in meinem Leben war, wo ich den Hunger richtig kennen lernte. Das lasse ich jetzt. Es ist mir aber wichtig, Dir noch Gedanken vorzulegen, die mit der Leidensgeschichte unserer Familie untrennbar verbunden sind.

Der Krieg hat mich geprägt

Lieber Fabian, jetzt verstehst Du sicher, dass mich nicht zuletzt die Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg zum Pazifisten gemacht haben. Der zweite Weltkrieg liefert aber auch das stärkste Argument für den Krieg, mit dem sich Pazifisten dauernd auseinandersetzen müssen.

Das stärkste Argument

Das stärkste Argument lautet: Hitler konnte nur durch den Krieg gegen Hitler besiegt werden.
In ungezählten Diskussionen wird mir dies Argument immer entgegengehalten. Tatsache ist, dass Hitler durch den Krieg gegen ihn beseitigt wurde. Sein Drittes Reich wurde vernichtet und die Möglichkeit zur Errichtung einer Demokratie in Deutschland geschaffen. Aus solchen unbestreitbaren kriegerischen Erfolgen folgert man, dass also die Ausbildung von Soldaten für den Krieg notwendig sei. Denn es gibt den verbrecherischen Krieg von Diktatoren und Tyrannen, es gibt aber auch den gerechten Krieg von demokratischen Regierungen, die gegen das „Reich des Bösen“ kämpfen. Dass es wirklich einen „gerechten“ Krieg geben könne, wurde zwar besonders von Christen oft bestritten, nichtsdestoweniger wurde er aber immer als notwendig angesehen, denn „Hitler hätte ja anders nicht besiegt werden können.“

Der Krieg gegen den Krieg ("Angriff und Verteidigung")

Nun hast Du am Beispiel der Familie Dierlamm gesehen, wie dieser Krieg und Gegenkrieg beschaffen ist. Meine beiden Brüder kämpften in dem verbrecherischen Krieg für Hitler an zwei Fronten, in Russland und in Italien. Meine Eltern und meine Schwester wurden Opfer des angeblich gerechten Krieges gegen Hitler. Die Grausamkeit beider Kriege war aber die gleiche. Die Zivilbevölkerung wurde in beiden Kriegen nicht geschont, sie wurde sogar im Bombenkrieg gegen Deutschland bewusst zum strategischen Ziel gemacht. Die Bevölkerung sollte moralisch zermürbt werden, ein Ziel, das völlig verfehlt wurde weil die Deutschen trotz des Bombenkrieges bis zur Eroberung Berlins weiter gekämpft haben. War dieser Bombenkrieg etwa gerecht? Ich habe nie einen Hass gegen die Engländer und Amerikaner empfunden, die meine Eltern und meine Schwester auf grausamste Weise töteten. Denn es war mir vollkommen klar, dass dieser Bombenkrieg die Folge war von Hitlers Krieg, ja die Rache für Hitlers Krieg – es musste so kommen, wie es kam. Aber gerecht war dieser Bombenkrieg auf keinen Fall. Es ist nur das berühmte Wort Schillers wahr geworden: „Das ist der Fluch der bösen Tat [Hitlers Krieg], dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären [den Krieg gegen Hitler].

"Aber Hitler konnte doch nicht anders besiegt werden"

Doch stereotyp wird geantwortet: Ja, aber Hitler konnte nicht anders besiegt werden.
Was antworte ich auf diese Behauptung? Ich sage: wenn diese Behauptung nicht widerlegt und also der angeblich gerechte Krieg zur Abwehr des verbrecherischen Krieges immer weiter vorbereitet wird, dann bedeutet dies das sichere Ende der Menschheit. Wir waren und sind schon auf dem Weg dahin. Auch der erste Abwurf von Atombomben über Hiroshima und Nagasaki war eine böse Tat, die Böses gebären musste. Die anderen wollten die Atombomben auch haben. Die Atombomben sollten immer stärker werden. 1952 zündeten die USA die erste Wasserstoffbombe, deren Sprengkraft 500 Mal stärker war als die Plutonium-Bombe von Nagasaki. Die Sowjetunion folgte nach.

Die Kubakrise

Google : Die Kubakrise war eine äußerst ernste Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion im Jahr 1962. Auslöser war die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba als Antwort auf die nuklearen Mittelstreckenraketen des Typs Thor- und Jupiter, welche die USA 1959 in Italien und der Türkei aufgestellt hatten. Die Kubakrise wird als Höhepunkt und gleichzeitig als Wendepunkt in der Geschichte des Kalten Krieges angesehen. Niemals zuvor war ein Atomkrieg so wahrscheinlich wie zu diesem Zeitpunkt.

Immer weitere Verbreitung von Atomwaffen

Immer mehr Staaten wurden Atomwaffenbesitzer. Wer sie einmal hat, will sie nicht mehr hergeben. Die Staaten der Dritten Welt wollen sie auch haben. Mit welchem Recht will man sie ihnen verwehren, wenn man sie selbst besitzt? Heute droht ein neuer Krieg in Mittelost, weil der Iran verdächtigt wird, Atombomben zu entwickeln, was stimmen kann.

Was Kriege kosten

Im Jahr 2003 begannen die USA den Krieg gegen den Irak. Als „Krieg gegen den Terror“ hat er immer noch kein Ende. Jeden Tag kostet er viele Menschenleben. Über seine [finanziellen]Kosten las ich Folgendes:
Der Irakkrieg verschlingt monatlich 8 Milliarden Dollar (der USA)
Die FAZ [Frankfurter Allgemeine Zeitung] bringt heute [15. Januar 2007]in ihrem Wirtschaftsteil (S.11) eine interessante Übersicht über die Ausgaben der USA im Irakkrieg. Bush bittet den Kongress um einen Nachtragshaushalt von 100 Milliarden. Das verdoppelt die Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr für den Krieg in Irak und Afghanistan auf 170 Milliarden.
Der "Krieg gegen den Terrorismus" im weiteren Sinne verschlingt dieses Jahr rund 600 Milliarden Dollar.
Versorgung der Veteranen eingerechnet könnte die Gesamtrechung sich auf 2 Billionen Dollar belaufen. Das ist das Dreißigfache der Schätzung zu Beginn des Krieges.

(Pfarrer Wolfgang Wagner aus Bad Boll am 15.1.2007)

strong>Wie kann ein kommender Hitler besiegt werden?

Die entscheidende Frage bleibt: Kann ein kommender Hitler nicht anders besiegt werden als durch den Krieg?
Ich gebe meine persönliche Antwort:
Die zwei Billionen Dollar, mit denen die vergebliche Abwehr des Terrorismus finanziert wird, müssen zur Herstellung gerechter Verhältnisse überall dort in der Welt eingesetzt werden, wo das Elend herrscht, wo aus dem Elend der Aufruhr hervorgeht und aus dem Aufruhr der Terror.

Meine Hoffnung für die Zukunft der Enkelgeneration

Lieber Fabian, auf Dich und Deine Familie, die ich Dir wünsche, kommen riesige Probleme zu. Es entbrennt weltweit ein Kampf um die Lebensgrundlagen für alle Menschen. Es besteht die große Gefahr, dass sich Menschen und Mächte mit Hilfe ihrer militärischen Überlegenheit rücksichtslos gegen die schwächeren Menschen und Mächtedurchsetzen, bis sie selbst von der Katastrophe ereilt werden. Denn das Böse muss Böses gebären.
Es besteht aber die Hoffnung, dass die Menschheit zur Vernunft kommt. Ein entscheidender Schritt der Vernunft ist es in meinen Augen, auf den trügerischen militärischen Schutz zu verzichten. Wenn die Starken die Schwachen nicht unterdrücken und vernichten, sondern ihnen aufhelfen und ihre Last tragen, gibt es Hoffnung für die Welt.

Für mich wird diese Hoffnung auch und vor allem durch den christlichen Glauben begründet und verstärkt.

Ich wünsche Dir fruchtbare Gedanken und eine gute Begründung für Deine KDV.

Dein Großvater

1. 2 Heirat und Kinder

Am 15. Juli 1954 heiratete ich Rose Dilger. Sie war Tochter eines Pfarrers, des späteren Missionsinspektors Alfred Dilger, der Großvater väterlicherseits war Missionar in Indien. Ihre Mutter, Luise geb. Weegmann war Tochter eines Forstmeisters, ihre Großvater Lehrer und Schultheiß in Grunbach. Mein Vater war Lehrer, mein Großvater und Urgroßvater waren Dorfpfarrer. Meine Mutter Marta geb. Ulrich, war Tochter eines Lokomotivführers und vor ihrer Heirat Gemeindehelferin. So vereinigten sich zwei Familien, die von der evangelischen Theologie und Erziehung stark geprägt waren.

Der christliche Glaube wurde uns nicht vergällt. Wir konnten das religiöse Erbe bejahen und übernehmen.

Ich hatte drei ältere Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester, die zusammen mit meinen Eltern im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind. Meine Frau Rose hat noch drei Schwestern und zwei Brüder, die wie ihre Eltern alle den Krieg überlebt haben. Sie waren alle zu jung für den Kriegsdienst, und ihr Vater war vom Ersten Weltkrieg her beinamputiert.

1955, 1956, 1960 und 1964 wurden uns vier Kinder geboren, wieder drei Söhne und eine Tochter, in der gleichen Reihenfolge wie bei meinen Geschwistern.

Als unser jüngster Sohn geboren wurde, sagte ich: „meinen Familie ist wieder auferstanden“, so eine Erinnerung meiner Frau. Ihr habe ich es zu verdanken, dass sie mir bei meinem einseitigen und radikalen politischem Engagement als Pfarrer unserer Landeskirche immer den Rücken frei gehalten hat.

1.3 Stationen

Ich zähle hier nicht die Hauptdaten meines Lebenslaufes auf, sondern nenne im Rückblick auf mein bisheriges Leben die wenigen markanten Punkte, die zu meinem zentralen Thema: „Pazifismus und Theologie“ gehören.

• Der Tod meiner Eltern und der drei Geschwister im 2. Weltkrieg
(vgl. das zweibändige Werk von Margarete Dörr: „Der Krieg hat uns geprägt“ Wie Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Campus Verlag Frankfurt/New York)

• 50. Lebensjahr -1977- Aufruf: „An alle Christen“ und Entstehung der Ökumenischen Aktion für Frieden und Gerechtigkeit Ohne Rüstung Leben

• 2001 Beginn des Ökumenischen Montagsgebetes für den Frieden in der Welt
Begleitung der „Dekade zur Überwindung von Gewalt 2001-2010“ des Ökumenischen Rates der Kirchen

• 80. Lebensjahr – 2007 - Verabschiedung des Aufrufs: „An alle Christinnen und Christen: Den Krieg nicht mehr lernen“ (sogenannte Schorndorfer Erklärung)

• 13. Januar 2010 Podiumsdiskussion mit Landesbischof Frank O. July in Schorndorf über das Thema: „Verantwortung für den Frieden in der Welt.“

Oktober 2010 "Aufruf zur Buße und Umkehr der christlichen Kirche auf Erden"

2. 1 Albert Schweitzer

Kurzer Überblick über ds Leben von Albert Schweitzer

Albert Schweitzer wurde 1875 in Günsbach im Elsass im alten Kaiserreich geboren. Er studierte Ev. Theologie und Philosophie, wurde Vikar und Prediger und Theologie- Professor in Straßburg. Albert Schweitzer machte sich auch als Orgelspieler und Bach-Interpret einen Namen Er beschloss, sich bis zum 30. Jahr der Wissenschaft zu widmen und dann im Dienst der Nächstenliebe als Arzt nach Afrika zu gehen. 1912 heiratete er Helene Bresslau. Sie ließ sich als Krankenschwester ausbilden, er studierte in Straßburg und Berlin Medizin. 1913 konnte er seinen Entschluss verwirklichen. Er reiste mit seiner Frau In die Französischen Kolonie Gabun und fing an, in Lambarene unweit des Ogowe aus einfachsten Anfängen ein Hospital zu errichten. Während des 1. Weltkriegs wurden beide als Deutsche zuerst in Gabun, dann in Frankreich inhaftiert. Nach dem Krieg ging er wieder nach Afrika. Seine gesundheitlich angeschlagene Frau blieb mit der Tochter Rhena, die 1919 geboren wurde, in Deutschland. Den Zweiten Weltkrieg überlebte er in Lambarene. 1953 erhielt Albert Schweitzer den Friedensnobelpreis. Er starb neunzigjährig 1965 in Lambarene.
Durch seinen Aufenthalt und sein Wirken in Lambarene wurde Albert Schweitzer von der Pflicht und dem Zwang, im Ersten und Zweiten Weltkrieg Soldat zu werden und für den Kaiser oder für die Alliierten zu kämpfen, befreit. Er schuf als großer Denker seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, die in seiner ärztlichen Tätigkeit für kranke und leidende Menschen in Afrika zur Tat wurde.

Wie meine Begeisterung für Albert Schweitzer geweckt wurde

Ich bin 1927 geboren und weiß nicht mehr, wann ich zuerst von Schweitzer hörte und mich mit ihm beschäftigte. Die Kunde von seinem Namen und seinem Werk ist in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sicher auch zu meinen Eltern gedrungen. Gab es im Dritten Reich die Möglichkeit, Nachrichten über ihn zu hören, Schriften von ihm zu erwerben? Wahrscheinlich hat mein Vater seine Kinder noch vor seinem Tod 1944 mit dem großen Mann und seinen Gedanken bekannt gemacht und meine Begeisterung für ihn geweckt.

Albert Schweitzer als Theologe

Vielleicht kann die "Geschichte der Leben Jesu Forschung" als theologisches Hauptwerk von Albert Schweitzer gelten. Schweitzer war liberaler Theologe, analysierte die Bemühungen seiner Vorgänger seit der Aufklärung, mit Hilfe der historisch-kritischen Forschung das wirkliche Leben Jesu an den Tag zu bringen. Er war überzeugt, Jesus habe das Ende der alten Welt, d.h. das Kommen des Reiches Gottes als unmittelbar bevorstehend verkündet. Die vielen wunderbaren Geschichten, die von Jesus berichtet werden, betrachtet Schweitzer wie die ganze liberale Theologie als mythologische Erhöhung des Lebens Jesu. Trotz seines "dogmatischen" Irrtums blieb der ethische Jesus für Schweitzer bestimmend. Die Lehre des Bergpredigers war damit nicht widerlegt. Im Gegenteil:

„Eine unermesslich tiefe Wahrheit liegt in dem p h a n t a s t i s c h e n W o r t Jesu: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen‘“. (Denken und Tat Zusammengetragen und dargestellt von Rudolf Grabs Richard Meiner Verlag in Hamburg S. 68)

Ehrfurcht vor dem Leben

Das Reich Gottes wird für Schweitzer wirklich in der Nachfolge Jesu, in einem neuen Bewusstsein, das von seinem Geist bestimmt ist.
Mich hat vor allem die Schrift Albert Schweitzers „Aus meiner Kindheit und Jugendzeit“ ergriffen und überzeugt. Sie ist durch ihre einfachen Beispiele leicht verständlich und enthält doch die ganze Tiefe seiner ethischen Gedanken.
Die „Ehrfurcht vor dem Leben“ hat für Schweitzer absolute Gültigkeit:

„Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben erkennt keine relative Ethik an. Als gut lässt sie nur Erhaltung und Förderung von Leben gelten. Alles Vernichten und Schädigen von Leben, unter welchen Umständen es auch erfolgen mag, bezeichnet sie als böse…“ (Denken und Tat S. 191).

Albert Schweitzer hat die „Ehrfurcht vor dem Leben“ bekanntlich auch auf Tiere wie Insekten und auf Pflanzen wie Bäume oder Blumen ausgedehnt. Kein Leben darf gedankenlos oder in egoistischem Interesse, oder auch auf Grund angeblich höherer Notwendigkeit zur Erhaltung der Geellschaft geopfert werden. Wenn das für Tiere und Pflanzen gilt, dann erst recht für den Umgang der Menschen untereinander.

„Die Ehrfurcht vor dem Leben schafft eine Gesinnung, in der jedem Menschen der Menschenwert und die Menschenwürde, die ihm die Lebensumstände versagen wollen, in den Gedanken der anderen entgegengebracht wird.“ (S. 303 Denken und Tat)

Die Ethik Albert Schweitzers ist mit militärischer Gewaltanwendung unvereinbar

Kann in der Nachfolge Jesu, kann in der Ehrfurcht vor dem Leben militärische Gewaltanwendung gerechtfertigt werden? Ist nicht schon das Ersinnen von immer perfekteren Waffen zur Vernichtung von Feinden, ihre Produktion, die Ausbildung an solchen Waffen, der Befehl von Regierungen und Generälen, sie anzuwenden – noch vor der Ausführung der kriegerischen Handlungen – mit der Nachfolge Jesu und der Ehrfurcht vor dem Leben schlechterdings unvereinbar?

So habe ich Albert Schweitzer verstanden, als radikalen Pazifisten, und so überzeugt er mich noch heute.

2. 2. Karl Barth

Warum Karl Barth größeren Einfluss auf mich hatte als Rudolf Bultmann

Ich studierte evangelische Theologie in den Jahren 1947-1951. Weil ich mich auch als Verehrer Albert Schweitzers selbstverständlich zur historisch-kritischen Forschung bekannte, galt ich bei manchen vielleicht als Anhänger Rudolf Bultmanns und seiner „Entmythologisierung des Neuen Testaments“. Ich habe manche seiner Schriften gelesen, aber rechnete mich nicht zu seinen Schülern. Viel größeren Einfluss hatte auf mich der Schweizer Karl Barth, dessen Hauptwerk „Die Kirchliche Dogmatik“ ich als junger Pfarrer Band um Band gelesen habe. Dass ich Karl Barth vor Rudolf Bultmann bevorzugte, obwohl ich mich nie als „Barthianer“ bekannte, hängt sicher mit seinem größeren sozialen und politischen Engagement zusammen. Karl Barth kann neben Martin Niemöller als eigentlicher theologischer Sprecher und Führer der Bekennenden Kirche gelten. Dietrich Bonhoeffer war in der Zeit des Dritten Reiches viele weniger bekannt und anerkannt.

Karl Barth kritisiert die Remilitarisierung der Bundesrepublik und ist doch kein Pazifist

Der Schweizer Karl Barth übte in der Adenauerzeit heftige Kritik an der sogenannten Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland, vielleicht wurde er deshalb manchmal den Pazifisten zugerechnet. Ein radikaler Pazifist konnte er schon deswegen nicht sein, weil er sich bei aller Verdammung des deutschen Militarismus doch wie die allermeisten Theologen und Theologinnen damals wie heute zur militärischen Verteidigung bekannte. Wäre auch die Schweiz von Hitlers Armeen angegriffen worden, wäre er selbstverständlich Soldat geworden. Für eine „Schweiz ohne Armee“ hat er sich nie ausgesprochen. Auch sein Lebenswerk als systematischer Theologe hat ihn nie zur Forderung „Keine Gewalt“ veranlasst. Im Gegenteil.

Karl Barth und die theologische Erklärung aus Barmen

Das sogenannte Barmer Bekenntnis von 1934 war das theologische Fundament der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Erklärung wurde wesentlich von Karl Barth ausgearbeitet. In ihrem 5.Artikel heißt es:

„Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“

Auch wenn in der Barmer Erklärung „Androhung und Ausübung von Gewalt“ vom Staat nur "nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens" ausgeübt werden soll, ist dieser Passus des Barmer Bekenntnisses faktisch immer wieder zur Rechtfertigung kriegerischer Gewalt herangezogen worden.
Formulierungen wie Barmen 5 haben es gewiss auch den Gliedern der Bekennenden Kirche leichter gemacht, wenige Jahre später dem Einberufungsbefehl Adolf Hitlers Folge zu leisten und seine "Androhung und Ausübung von Gewalt" zu billigen. Berufen sich nicht auch heute alle militärisch Agierenden aus ehrlicher Überzeugung oder aus Propaganda darauf, dass sie "für Recht und Frieden" sorgen?

"So wenig wie möglich, so viel wie nötig"

Karl Barth gehört im Blick auf das Militärwesen zu dem mainstream, der sagt: „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“. Aber wie viel Militär ist nötig, um die nötige „Sicherheit“ zu gewährleisten? Die fünf Prozent nötiges Militär und die sogenannte ultima ratio sorgen schon immer dafür, dass die Rüstung modernisiert werden muss, dass die Ausbildung für das Kriegshandwerk weitergeht, dass im „Ernstfall“ auch die verletzenden und tötenden Waffen in Anwendung kommen, ob man das nun Krieg nennt oder nicht.
Darum gehört Karl Barth nicht zu den Theologen, die für mich wegen ihres antimilitaristischen Engagements wichtig geworden wären.

Es wird regiert

Trotzdem hat die Lektüre seiner vielbändigen Dogmatik mein theologisches Denken stark beeinflusst. obwohl ich mir nicht einbilde, sein umfangreiches Werk richtig verstanden zu haben oder würdigen zu können. Ich denke, dass mir Karl Barth vor allem das Lesen und Verstehen der biblischen Botschaft erleichtert hat.Gott greift in die Geschichte der Menschen ein - und das auf eine Weise, die von niemand erwartet oder vorhergesehen wurde. In der Bibel des Alten und Neuen Testaments ist G O T T das entscheidende Subjekt, nicht der Mensch. Gott schuf Himmel und Erde und den Menschen nach seinem Bilde. Er beruft Abraham und erwählt Israel als sein Bundesvolk. Er erwählt Jesus aus Nazareth als den Befreier und Retter der Völker. Er hat ihn auferweckt von den Toten. Sein Geist erschafft die Kirche als Neues Bundesvolk und gibt ihr den Auftrag, die Herrschft Gottes zu verkünden und sie sichtbar zu machen inmitten der alten, vergehenden Welt.

Paradoxe Theologie

Die Botschaft der Bibel ist paradox, eine Botschaft gegen den Augenschein. Wir sehen Sonne, Mond und Sterne, Berge und Seen, Tiere und Pflanzen, Menschen. Und ein unsichtbarer Gott soll alles regieren? Wir erforschen die Geschichte der Völker, Aufstieg und Untergang der Weltreiche. Und Gott soll mit einem kleinen, völlig unbedeutenden Volk die entscheidende Geschichte für die Menschheit begonnen haben? Den aller Welt Kreis nie beschloss, der soll in Marien Schoß liegen? Ein Gekreuzigter soll der wahre König sein? Die christliche Kirche, die in so viel blutige Gewalt verstrickt ist, soll das Friedensreich Gottes schon in dieser Welt sichtbar machen? Jerusalem soll die Stadt des Friedens sein?

Das große Ärgernis

Ist dies nicht alles eine Zumutung für den gesunden Menschenverstand?
Auch ich habe meine Fragen. Wie ist das nun mit dem Islam? Wenn wir vom Alten und Neuen Testament reden,vom Alten und Neuen Israel, oder auch vom Ersten und Zweiten Testament, wie steht es dann mit dem Koran? Auch Mohammed beruft sich auf Abraham, und der Islam versteht sich nicht als drittes Testament in absteigender Reihenfolge, sondern als Krönung der ganzen Geschichte Gottes mit den Menschen. Ist das alles nur "religiöser Aberglaube"?
Und doch: aus dem kleinen Volk der Juden sind die beiden größtem Weltreligionen hervorgegangen. Der eine Gott, zu dem sich der größere Teil der Menschheit bekennt, ist kein anderer als der Gott Israels.
Noch immer sind die Juden da. Noch immer ist ein Brennpunkt der Weltpolitik der Nahe Osten, das verheißene Land, Jerusalem.

Karl Barth hat sicher dazu beigetragen, dass ich Politik und Theologie nicht voneinander trennen kann - dass ich die Aktualität der biblischen Botschaft für die Weltpolitik erkenne.

2.3 Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer ist weltweit wahrscheinlich der am meisten gelesene deutschsprachige Theologe. In der neu erbauten Kathedrale in Coventry können wir ihn unter den in Stein gehauenen Heiligen finden. Im "Dritten Reich" gehörte er zur Bekennenden Kirche, die vor allem durch die Theologie von Karl Barth geprägt war. Erst nach der Hinrichtung von Bonhoeffer in Flossenbürg am 9. April 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist seine große Bedeutung mehr und mehr erkannt worden.

Die Bedeutung der Bergpredigt für Bonhoeffer

Am 14 Januar 1935 schreibt Bonhoeffer an seinen Vater Karl-Friedrich Bonhoeffer:
„ Es mag ja sein, dass ich in manchen Dingen Dir etwas fanatisch und verrückt erscheine. Und ich habe selbst manchmal Angst davor. Aber ich weiß, wenn ich vernünftiger wäre, so müsste ich am nächsten Tag ehrlicherweise meine ganze Theologie an den Nagel hängen…
Ich glaube zu wissen, dass ich eigentlich erst innerlich klar und wirklich aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich anfinge, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle …
Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromisslosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat….
Ich kann mir immer noch gar nicht recht denken, dass du wirklich diese Gedanken alle für so gänzlich irrsinnig hältst. Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromisslos einzutreten. Und mir scheint, der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas…“

Fanö 1934

Für mich und unzählige Freundinnen und Freunde der Friedensbewegung wurde eine Andacht von Dietrich Bonhoeffer 1934 bei einer ökumenischen Versammlung in Fanö ungemein hilfreich und wegweisend. Diese Andacht ist exemplarisch für Bonhoeffers „Kompromisslosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt.“
Eberhard Bethge schreibt dazu in seiner Bonhoeffer-Biographie (Chr. Kaiser 1978):
"Sehr gedrängt formuliert, ist diese Ansprache Bonhoeffers einseitigste und stärkste Äußerung zum Frieden, die wir besitzen. Sie trägt die Kennzeichen jener düsteren Wochen und reicht doch weit über die Tage Hitlers hinaus. Hier in der gottesdienstlichen Verkündigung konnte er die Erwägungen zur Problematik des Für und Wider hinter sich lassen. Hier ging es nicht um das ratlose Austauschen offener Fragen, sondern um die direkte Aufforderung, Entscheidungen zu wagen." (S. 449).

In dieser Andacht – 1934 – sagt Bonhoeffer:
„Die Stunde eilt – die Welt starrt in Waffen und furchtbar schaut das Misstrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare kann morgen geblasen werden.“ 1939 wurde seine düstere Vision Wirklichkeit.

Beteiligung an der Verschwörung gegen Hitler

Im Haus Bonhoeffers trafen sich Menschen im Widerstand gegen das Dritte Reich. Sie planten eine Verschwörung, die zu Hitlers Ermordung führen sollte. Dietrich Bonhoeffer schloss sich dieser Gruppe nach langen Bedenken an.
Niemand wird bestreiten wollen, dass Bonhoeffer in den Kriegsjahren ganz anders handelte, als er damals, 1934, in Fanö gepredigt hat. Zugleich zeigt diese Entscheidung zum gewaltbereiten Widerstand, dass dies immer noch der gleiche Dietrich Bonhoeffer ist. Es ist kein Bruch seiner Persönlichkeit wahrnehmbar. In der Kühnheit seines Glaubens, in seinem großen Mut zum Wagnis, in der Konsequenz seines Handelns ist er auch bereit, Leiden und Tod auf sich zu nehmen. Wie viele Theologen der Bekennenden Kirche haben sich damals zu diesem Bonhoeffer bekannt? Wie viele der heutigen Zeitgenossen, die sich für ihre militärpolitischen Entscheidungen gern auf ihn als ihren Kronzeugen berufen, würden ihm darin folgen? Bonhoeffer selbst hat seine Entscheidung für den gewaltsamen Widerstand als „bewusste Schuldaufnahme“ bezeichnet.

Das Wagnis der Entscheidung ist auch heute notwendig

Viele Christen folgen heute dem späten Bonhoeffer der Kriegsjahre und lassen den frühen Bonhoeffer von 1934 hinter sich, als sei seine Andacht in Fanö jugendlichem Übereifer oder gar einer schwärmerischen Phase seines Denkens zuzuschreiben Andere vertreten die These vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ und wollen damit vielleicht dem frühen und späten Bonhoeffer gerecht werden – das dürfte in etwa die Position der Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland sein (EKD), mit der sich auch unsere Regierung unter Angela Merkel gern einverstanden erklären wird.

Auch wenn man vor Menschen größten Respekt haben muss, die bereit sind, für ihre Überzeugung ihr Leben zu opfern, so halte ich dennoch die Entscheidung für den Tyrannenmord oder für Bombenattentate zur Beseitigung verbrecherische Regierungen nicht für den richtigen Weg, der zur Überwindung der zerstörenden Gewalt führen kann, die inzwischen die ganze Menschheit bedroht.

Dagegen Fanö 1934

Es gibt auch für mich problematische Aussagen in dieser Andacht, etwa die vom „blinden Gehorsam“ gegen das Gebot Gottes.
Statt sie zum willkommenen Anlass zu nehmen, die ganze Andacht abzulehnen, sollten wir auf das hören, was darin noch immer und heute erst recht gültig,wegweisend und Not wendend ist.

Ich zitiere die Friedenspredigt von Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahr 1934 und markiere die entscheidenden Sätze.

Kirche und Völkerwelt

Dietrich Bonhoeffer am 28. August 1934 auf Fanö

„Ach dass ich hören sollte, was der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen“ (Ps. 85,9)

"Zwischen den Klippen des Nationalismus und des Internationalismus ruft die ökumenische Christenheit nach ihrem Herrn und seiner Weisung. Nationalismus und Internationalismus sind Fragen der politischen Notwendigkeit und Möglichkeiten. Aber die Ökumene fragt nicht nach diesen , sondern nach den Geboten Gottes und ruft diese Gebote Gottes ohne Rücksicht mitten hinein in die Welt.

Als Glied der Ökumene hat der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen Gottes Ruf zum Frieden vernommen und richtet diesen Befehl an die Völkerwelt aus. Unsere theologische Aufgabe besteht darum hier allein darin, dieses Gebot als bindendes Gebot zu vernehmen und nicht als offene Frage zu diskutieren. „Friede auf Erden“, das ist kein Problem, sondern ein mit der Erscheinung Christi selbst gegebenes Gebot. Zum Gebot gibt es ein doppeltes Verhalten: den unbedingten, blinden Gehorsam der Tat oder die scheinheilige Frage der Schlange: sollte Gott gesagt haben? Diese Frage ist der Todfeind des Gehorsams, ist darum der Todfeind jeden echten Friedens. Sollte Gott nicht die menschliche Natur besser gekannt haben und wissen, dass Kriege in dieser Welt kommen müssen wie Naturgesetze? Sollte Gott nicht gemeint haben, wir sollten wohl von Frieden reden, aber so wörtlich sei das nicht in die Tat umzusetzen? Sollte Gott nicht doch gesagt haben, wir sollten wohl für den Frieden arbeiten, aber zur Sicherung sollten wir doch Tanks und Giftgas bereitstellen? Und dann das scheinbar Ernsteste: Sollte Gott gesagt haben, Du sollst dein Volk nicht schützen; Sollte Gott gesagt haben, Du sollst Deinen Nächsten dem Feind preisgeben?
Nein, das alles hat Gott nicht gesagt, sondern gesagt hat er, dass Friede sein soll unter den Menschen, dass wir ihm vor allen weiteren Fragen gehorchen sollen, das hat er gemeint. Wer Gottes Gebot in Frage zieht, bevor er gehorcht, der hat ihn schon verleugnet.

Friede soll sein, weil Christus in der Welt ist, d.h. Friede soll sein, weil es eine Kirche Christi gibt, um deretwillen allein die ganze Welt noch lebt. Und diese Kirche Christi lebt zugleich in allen Völkern und doch jenseits aller Grenzen völkischer, politischer, sozialer, rassischer Art, und die Brüder dieser Kirche sind durch das Gebot des einen Herrn Christus, auf das sie hören, unzertrennlicher verbunden als alle Bande der Geschichte, des Blutes, der Klassen und der Sprachen Menschen binden können. Alle diese Bindungen innerweltlicher Art sind wohl gültige, nicht gleichgültige, aber vor Christus auch nicht endgültige Bindungen. Darum ist den Gliedern der Ökumene, sofern sie an Christus bleiben, sein Wort und Gebot des Friedens heiliger, unverbrüchlicher als die heiligsten Worte und Werke der natürlichen Welt es zu sein vermögen; denn sie wissen: Wer nicht Vater und Mutter hassen kann um seinetwillen, der ist sein nicht wert, der lügt, wenn er sich Christ nennt. Diese Brüder durch Christus gehorchen seinem Wort und zweifeln und fragen nicht, sondern halten sein Gebot des Friedens und schämen sich nicht, der Welt zum Trotz sogar vom ewigen Frieden zu reden. Sie können nicht die Waffen gegeneinander richten, weil sie wissen, dass sie damit die Waffen auf Christus selbst richteten. Es gibt für sie in aller Angst und Bedrängnis des Gewissens keine Ausflucht vor dem Gebot Christi, dass Friede sein soll.

Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern? D.h. durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg zur Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg. Sicherheiten suchen heißt, sich selber schützen wollen. Friede heißt sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand legen und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen. Kämpfe werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit Gott. Sie werden auch dort noch gewonnen, wo der Weg ans Kreuz führt. Wer von uns darf denn sagen, dass er wüsste, was es für die Welt bedeuten könnte, wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – betend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffe den Angreifer empfinge? (Gideon:... des Volkes ist zuviel, das mit dir ist...Gott vollzieht hier selbst die Abrüstung (Richter 7).

Noch einmal darum: Wie wird Friede? Wer ruft zum Frieden, dass die Welt es hört, zu hören gezwungen ist? Dass alle Völker darüber froh werden müssen? Der einzelne Christ kann das nicht - er kann wohl, wo alle schweigen, die Stimme erheben und Zeugnis ablegen, aber die Mächte der Welt können wortlos über ihn hinwegschreiten. Die einzelne Kirche kann auch wohl zeugen und leiden – ach, wenn sie es doch täte -, aber auch sie wird erdrückt von der Gewalt des Hasses. Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, dass die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muss und dass die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.

Warum fürchten wir das Wutgeheul der Weltmächte? Warum rauben wir ihnen nicht die Macht und geben sie Christus zurück? Wir können es heute noch tun. Das ökumenische Konzil ist versammelt, es kann diesen radikalen Ruf zum Frieden an die Christusgläubigen ausgehen lassen. Die Völker warten darauf im Osten und Westen. Müssen wir uns von den Heiden im Osten beschämen lassen? [ nach der Aussage von Zeitzeugen denkt Bonhoeffer dabei an Gandhi] Sollten wir die einzelnen, die ihr Leben an die Botschaft wagen, allein lassen? Die Stunde eilt – die Welt starrt in Waffen und furchtbar schaut das Misstrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare kann morgen geblasen werden – worauf warten wir noch? Wollen wir selbst mitschuldig werden wie nie zuvor?
'Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre? Die könnten mich nicht freun!, ‚s ist leider Krieg – und ich begehr, nicht schuld daran zu sein.!' (M. Claudius)

Wir wollen reden zu dieser Welt, kein halbes, sondern ein ganzes Wort, ein mutiges Wort, ein christliches Wort. Wir wollen beten, dass uns dieses Wort gegeben werde – heute noch – wer weiß, ob wir uns im nächsten Jahr noch wiederfinden?" (D. Bonhoeffer, Gesammelte .Schriften Band I 1958 S. 216-219)
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3. 1 Altes Testament und Geschichte Israels

Mir ist das Alte Testament als erster Teil der christlichen Bibel wichtig, weil ich überzeugt bin, dass wir das Neue Testament gar nicht richtig verstehen können, wenn wir seine tiefe Verwurzelung im Alten Testament nicht beachten.

Jesus aus Nazareth war Jude und bezieht sich in seinen Äußerungen immer wieder auf die hebräische Bibel, wie auch der größte Theologe des Neuen Testaments, der Jude Paulus aus Tarsus.

Die "Bibel" ist zuerst die Heilige Schrift der Juden

Wir müssen uns klar machen, dass es zur Zeit der Entstehung der christlichen Kirche, in den Jahrzehnten nach dem Auftreten Jesu, noch kein Neues Testament gegeben hat. Seine ersten Teile sind die sogenannten echten Briefe des Paulus, ca 50-60 n. Chr. Die Evangelien folgen erst nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer in den Jahrzehnten 70- 100 n. Christus.

Der Kampf um das Heilige Land

Die Geschichte Israels wird vom Auszug aus Ägypten an auch als Kette von Kriegen um das verheißene Land beschrieben. Historiker weisen darauf hin, dass es sich in Wirklichkeit eher um ein allmähliches Einsickern der Israeliten in das Land am Jordan gehandelt haben dürfte. Geschichtlich wirksam geworden aber ist bis heute der Wortlaut der heiligen Schriften, die Theologie, die ihnen zugrundliegt. Der Gott Israels geht im Krieg voran, er hilft seinem Volk zum Sieg über die Nachbarvölker. Wenn die Israeliten den Kampf verlieren, dann deswegen, weil sie Gott ungehorsam sind oder Götzendienst treiben und dadurch den Zorn und die Strafe Gottes herausfordern. Nirgendwo wird das Recht zum Kriegführen grundsätzlich in Frage gestellt. Die Grausamkeit dieser Auseinandersetzungen wird oft drastisch geschildert und von kritischen Lesern des Alten Testaments hervorgehoben und beklagt. Sie spiegelt nur die Grausamkeiten in der Geschichte der Völker wider, an denen ja die Christen später viel mehr beteiligt waren als die Juden damals.

Der König David

Das Leben Davids und sein Königreich ca 1000 v. Chr. wird als nie wieder erreichter Höhepunkt in der Geschichte Israels beschrieben. Er erobert den Zion, die Bergfeste in Jerusalem und errichtet auf ihr seinen Palast. Mit ihm beginnt der Zionismus. Das 1. Buch der Chronik (wahrscheinlich entstanden am Ende des 4.Jahrhunderts v. Chr.) befasst sich in seinem zweiten Teil von Kapitel 11- bis Kap 29 ausschließlich mit dem Reich Davids. Gott hat ihm den Sieg g über alle seine Feinde gegeben.
Gott spricht durch Natan zu David: „…Ich war es, der dich von der Weide genommen hat, von den Schafen weg, damit du Erhöhter über mein Volk Israel wirst. Und ich war mit dir während der ganzen Zeit, bei all deinem Handeln, und ich habe alle, die dir feindlich gesinnt waren, vor deinem Angesicht vernichtet. Dir werde ich einen Namen machen gleich den Namen der Großen, die es auf dieser Erde gibt…Alle, die dir feindlich gesinnt sind, werde ich unterwerfen." (1. Chr. 17, 7-8.10 Übersetzung: Bibel in gerechter Spache).
Die Geschichte Israels, wie sie im Alten Testament geschildert wird, ist ein Teil der Weltgeschichte in den letzten 5000 Jahren, die oft als kriegerische Auseinandersetzung der Völker und als Aufstieg und Untergang von einander folgenden Großreichen beschrieben wird. Der wahre Herr der Völker aber ist JHWH, der das kleine Volk Israel als sein Eigentumsvolk erwählt hat und die Geschichte der Völker lenkt. Dass das Königreich Davids keinen Bestand hatte, ist nach dem Zeugnis dieser Richtung alttestamentlicher Theologie allein dem Ungehorsam des Volkes Gottes zuzuschreiben.

Von der Überwindung des Militärwesens

Umso wichtiger ist, dass mitten im Alten Testament auch vom Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen die Rede ist, vom Reich des Friedens und der Gerechtigkeit, das der Gott Israels für alle Völker errichten wird.

Jesaja 2, 1-5

Jerusalem als Mittelpunkt des messianischen Reiches

1 Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amos, in einer Vision über Juda und Jerusalem gehört hat
2 Am Ende der Tage wird es geschehen:
Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker.
3 Viele Nationen machen sich auf den Weg; sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs.Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort.
4 Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.
5 Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.
(Einheitsübersetzung)

Micha 4,1-5

1 Und es wird geschehen am Ende der Tage: Da wird der Berg des Hauses Adonajs fest gegründet als der Höchste der Berge, erhabener als die Hügel sein. Und strömen werden zu ihm Nationen
2 Und viele Völker werden gehen und sagen: „Auf! Wir wollen hinaufziehen zum Berg Adonajs und zum Haus von Jakobs Gott, dass wir in Gottes Wegen unterwiesen werden und auf Gottes Pfaden wandeln!“ Denn von Zion geht Weisung aus und das Wort Adonajs von Jerusalem.
3 Und Gott wird schlichten zwischen vielen Nationen und starken Völkern Recht sprechen bis in ferne Länder. Und sie werden ihre Schwerter umschmieden zu Pflugscharen und ihre Speere zu Winzermessern. Kein Volk wird mehr gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen.
4 Und alle werden unter ihrem Weinstock wohnen und unter ihrem Feigenbaum – und niemand wird sie aufschrecken. Denn der Mund Adonajs der Himmelsmächte hat geredet.
5 Ja, alle Nationen wandeln jeweils im Namen ihrer Gottheit, und wir, wir wandeln im Namen Adonajs, unserer Gottheit, für immer und ewig.
(Bibel in gerechter Sprache)

Jesaja 9,1-6
Die Verheißung der Geburt des göttlichen Kindes


1 Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht;
über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.
2 Du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude.Man freut sich in deiner Nähe, wie man sich freut bei der Ernte, wie man jubelt, wenn Beute verteilt wird.
3 Denn wie am Tag von Midian zerbrichst du das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers.
4 Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.
5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.
6 Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich; er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten. Der leidenschaftliche Eifer des Herrn der Heere wird das vollbringen.
(Einheitsübersetzung)

Psalm 46,8-10

Der Herr der Welt ist bei uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz!
Kommt und seht, wie mächtig der Herr ist,
wie er Furcht und Schrecken auf der Erde
verbreitet:
Er macht dem Krieg ein Ende in aller Welt;
die Bogen zerbricht er,
die Spieße zerschlägt er
die Schilde verbrennt er.
„Macht Frieden!“, ruft er.
„Erkennt, dass ich Gott bin!
Ich habe Macht über die Völker der Erde.“
Der Herr der Welt ist bei uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz!
(Gute Nachricht)

Sacharja 9, 9-10
Verheißung des messianischen Friedensreiches


9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.
10 Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und die Kriegsbogen sollen zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis zu den Enden der Erde.
(Revidierte Lutherübersetzung)


Einige Bemerkungen zu den zitierten Sätzen aus dem Alten Testament vom Ende des Krieges:

• Unter den vielen kriegerischen Texten des Alten Testaments sind es nur wenige, die vom Ende aller Kriege berichten. Umso öfter werden gerade diese in den christlichen Gottesdiensten zitiert und gehören darum zu den bekanntesten Texten des Alten Testaments


• Natürlich findet in all diesen Texten auch eine allgemeine Hoffnung auf Frieden, ein Traum, eine Vision ihren Niederschlag, aber es handelt sich um mehr. Es ist die Rede von einem bestimmten Gott, der das Ende der Kriege herbeiführt, vom Gott Jakobs, von einem konkreten Ort, zu dem die Völker hinaufziehen, vom Berg Gottes, von Jerusalem. Es ist die Rede von sehr konkreten Vorgängen: sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden, ihre Schilde und blutbefleckten Mäntel verbrennen, das Kriegshandwerk nicht mehr lernen. Es ist die Rede von dem König, der im Auftrag Gottes das Wunder vollbringen wird, vom Messias. Nicht nur von menschlich/allzu menschlichen Wunschträumen ist hier die Rede, sondern von einer bestimmten Verheißung, von dem, was Gott tun wird. Denn Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.

• Am wenigsten bekannt unter den zitierten Texten dürfte der Schluss von
Psalm 46, 8-10 sein. Und doch handelt es sich um den Psalm, den Luther seinem trotzigen Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ zugrundegelegt hat und der in der Lutherbibel auch mit diese Überschrift versehen wurde. Aber Luther hat die Pointe des Psalms nicht erkannt oder eher ignoriert, weil er es bei all seiner Glaubenskraft wohl für unmöglich hielt, dass Gott tatsächlich selbst an die Stelle von Bogen und Spießen für den Angriff und Schilden für die Verteidigung treten wolle :

„Macht Frieden!“, ruft er.
„Erkennt, dass ich Gott bin!
Ich habe Macht über die Völker der Erde.“
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Ich füge noch einen Text hinzu, den wir bei der fortlaufenden Lektüre des Jesajabuches gefunden haben:

Jesaja 19,23-25

23 Zu der Zeit wird eine Straße sein von Ägypten nach Assyrien, dass die Assyrer nach Ägypten und die Ägypter nach Assyrien kommen und die Ägypter samt den Assyrern Gott dienen.
24 Zu der Zeit wird Israel der Dritte sein mit den Ägyptern und Assyrern, ein Segen mitten auf Erden;
25 denn der HERR Zebaoth wird sie segnen und sprechen: Gesegnet bist du, Ägypten, mein Volk, und du, Assur, meiner Hände Werk und du, Israel, mein Erbe!
(Revidierte Lutherübersetzung)





3.2 David und Jesus

Noch einmal David

Der König David ist neben Abraham, Mose, Jakob eine der zentralen Personen der hebräischen Bibel. Das 1. Buch Samuel ist zur Hälfte, das zweite Buch Samuel ganz der dramatischen Geschichte Davids und seiner Königsherrschaft gewidmet. Seine schwere Verfehlung, der Ehebruch mit Bath-Seba und der Mord an ihrem Mann Uria, wird ebenso wenig verschwiegen (2. Samuel 11-12) wie der Kampf seiner Söhne um seine Nachfolge.

In den Chronikbüchern, Jahrhunderte später als Summe der Geschichte Israels verfasst, wird das Königtum Davids in der 2. Hälfte des 1. Chronikbuches (Kapitel 11-29) verherrlicht. Als einzige Verfehlung wird hier davon berichtet, dass David gegen den Willen Gottes einen Volkszählung anordnet. Aus allen Berichten über David geht aber deutlich hervor, dass sein Reich auf Krieg und Sieg, auf der Vernichtung oder Unterwerfung aller seiner Feinde gegründet ist. Zugleich wird David als der fromme König geschildert, der in der Übereinstimmung mit Gottes Willen regiert hat. Seine Verfehlungen rufen den Zorn Gottes hervor. Sie werden gesühnt und David erlangt die Vergebung Gottes.

Jesus

Jesus von Nazareth steht als die eine zentrale Figur des Neuen Testaments den großen Gestalten des Alten Testaments gegenüber. Warum aber heißt er der Sohn Davids und nicht etwa Abrahams oder Moses? Weil eine Gruppe um Jesus behauptet hat, er sei der Messias, der Gesalbte, der in Schriften des Alten Testaments verheißene Sohn Davids, der Gottes endgültiges Königreich, das Reich Gottes, errichten wird. Und weil diese Behauptung einer kleinen Gruppe von Männern und Frauen sich als Bekenntnis der christlichen Kirche auf Erden weltweit durchgesetzt hat.

Einen größeren Gegensatz als den zwischen David und Jesus kann man sich kaum vorstellen. David, der als junger Abenteurer den Goliath erschlägt, sieben Jahre in Hebron regiert, Jerusalem erobert, und zur Hauptstadt macht, durch viele Kriege und Eroberungen seine Macht festigt, und sein Königreich erweitert, der als alter Mann stirbt und bei seinen Vätern begraben wird – und Jesus, der junge Mann, Prophet und Prediger, Schriftausleger, Arzt, Tröster, Freund der Frauen und Kinder, der mit seinen wahren Worten und klaren Werken die Zweifel und Feindschaft der einen überwindet, der Feindschaft der anderen keine Gewalt entgegensetzt und in der Mitte von zwei Mitangeklagten gekreuzigt wird.

Jesus aus Nazareth, nicht nur Prophet, Rabbi, Arzt, Tröster, Menschenfreund, sondern König. So steht es auch über seinem Kreuz: „INRI , Jesus von Nazareth, König der Juden."

Und wo ist sein Reich?
Dass Jesus im Johannesevangelium zu Pilatus sagt, sein Reich sei nicht von dieser Welt, hat den Christen in allen Jahrhunderten geholfen, dem Einwand zu begegnen, dass von seinem Reich in dieser Welt nichts zu sehen sei. Sie konnten antworten, sein Reich sei nicht von dieser Welt, es sei in den Herzen, den Seelen, es sei der Trost der Sündenvergebung, es sei das Reich, das er bei seiner Wiederkunft errichten werde. Oder so: sein Reich werde vorweggenommen in den Gottesdiensten der Kirche, in ihren Kommunitäten, ihrem diakonischen Handeln.

Nur ein Bereich wurde von der Herrschaft dieses ganz anderen Königs ausgenommen: die große Politik der Fürsten und Könige, der Kaiser, Kanzler und Präsidenten, der Bereich also, in dem es der König David in Jerusalem einst zur größten Machtentfaltung gebracht hatte.

So sprach auch Martin Luther von den zwei Reichen, von dem zur Rechten und dem zur Linken. Das Reich zur Rechten, das war das ewige Reich, in dem Gott mit seinem Sohn Jesus Christus regierte, das Reich zur Linken war das irdische Reich, in dem vorläufig noch andere Gesetze galten, die Gesetze eben der alten, vergehenden Welt .

Für die Juden freilich haben die Christen mit ihrer Behauptung, Jesus sei der verheißene König, der Davids Reich vollenden werde, die messianische Hoffnung verfälscht. Juden denken erdverbunden Für sie ist es klar: wenn der Messias kommt, wird er hier auf Erden das Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichten. Weil der gekreuzigte und angeblich von den Toten auferstandene Jesus das nicht vollbracht hat, kann er auch nicht der Messias sein. Haben sie nicht recht?

3. 3 Paulus und seine Botschaft von Jesus Christus

Die Entstehung des Neuen Testaments

Das Neue Testament beginnt mit dem Matthäusevangelium, das auch die Bergpredigt enthält. So kann der Eindruck entstehen, das seien die ältesten Berichte im Neuen Testament und damit beginne auch die Geschichte der christlichen Kirche. In Wirklichkeit aber sind die ältesten Dokumente des Neuen Testaments die sogenannten echten Briefe des Apostels Paulus, die frühestens 20 Jahre nach Jesu Kreuzigung geschrieben wurden.

Als ältestes Evangelium gilt das Markusevangelium, das erst nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. geschrieben wurde, die anderen Evangelien folgen noch später bis ca 100 n. Chr. Paulus hat also noch keines der schriftlich fixierten Evangelien gekannt, obwohl er das Evangelium, d.h. die gute Nachricht von Jesus, schon in seinen Briefen verkündet. Paulus und die Gemeinden, die er gegründet hat, kannten also auch nicht das Vaterunser in seinem schriftlichen Wortlaut; die vielen Geschichten und Worte, die von Jesus erzählt wurden, wurden zu seiner Zeit nur mündlich weiter gegeben. Im Mittelpunkt der Briefe des Paulus steht dagegen die Kreuzigung Jesu und die Botschaft von seiner Auferstehung,die von vielen Augenzeugen bezeugt wurde (1. Korinther 15, 1-11). Die Einsetzung des Heiligen Abendmahls ist das einzige gewichtige Ereignis aus dem Leben Jesu, von dem Paulus berichtet (1. Korinther 11, 21-25).

Der Jude Paulus hat bekanntlich die Gruppe der ersten Jünger Jesu mit großem Hass verfolgt. Ihre Behauptung, der gekreuzigte Jesus sei der wahre Sohn Davids, der Gottes Reich auf Erden aufrichten werde, musste ihm als Gotteslästerung erscheinen. Erst als auch ihm als letztem Zeugen der Auferstandene erschienen ist (1. Korinther 15,8), hat er diese wahrhaft „unglaubliche“ Botschaft übernommen, in der letzten Konsequenz durchdacht und auf ihrer Grundlage christliche Gemeinden in Kleinasien und Europa gegründet. Das sogenannte Petrusbekenntnis, dass Jesus der Christus sei, ist in allen Schriften des Neuen Testaments anerkannt und die Grundlage der christlichen Kirche auf Erden geworden.

3.4 Das Zeugnis von Jesus Christus und die Bergpredigt

Verschiedene theologische Richtungen

Oft können wir eine gegenseitige Kritik zweier theologischer Richtungen beobachten: die einen orientieren sich an Jesus, dem Bergprediger, oder auch einfach an den Sätzen der Bergpredigt , vermeiden aber die dogmatische Rede von Jesus Christus, die in den Liturgien und Gebeten der Gottesdienste ständig wiederkehrt, die anderen sehen in der einseitigen Betonung der Bergpredigt bezw. der Ethik des historischen Jesus eine Verkürzung des vollen Evangeliums.
Für mich gehören beide Aussagen untrennbar zusammen. Die Vernachlässigung eines der beiden Aspekte führt in jedem Fall zur Schwächung der evangelischen Botschaft.

Das Messiasbekenntnis muss zum Bergprediger führen

Im vorigen Abschnitt (3.3 Paulus und die Botschaft von Jesus Christus) begründete ich meine Überzeugung: die ersten christlichen Gemeinden sind durch die Behauptung einer kleinen Gruppe von Menschen entstanden, der gekreuzigte Jesus aus Nazareth sei auferstanden von den Toten, und er sei in Wahrheit der Christus, der im Alten Testament verheißene Messias.

Die Menschen, die das Zeugnis dieser ersten Jünger Jesu hörten, mussten natürlich die Frage stellen, wer denn dieser Jesus eigentlich sei und wie diese paar Leute dazu kämen, eine so ungeheuerliche Behauptung aufzustellen. Alle Berichte von den Worten und Taten Jesu wurden gesammelt, aber auch verschieden überliefert und gedeutet. Manche seiner Taten wurden wunderbar erhöht oder nahmen symbolischen oder mytholoogischen Charakter an. Die vier Evangelien akzentuieren das Leben Jesu verschieden und spiegeln auch schon Meinungsverschiedenheiten unter den Anhängern Jesu. Rudolf Bultmann hat die Meinung vertreten, die Evangelien enthielten im Wesentlichen „Gemeindetheologie“. Kein Wunder also, dass bis auf den heutigen Tag umstritten ist, wie das Leben Jesu genau verlaufen ist (vgl. die Geschichte der Lebens Jesu-Forschung von Albert Schweitzer 2.1)

Aber wie auch immer: Heute ist das historische Faktum der Kreuzigung Jesu unumstritten und darüber hinaus, dass er sowohl durch seine Worte als auch durch seine Taten eine Aufsehen erregende Persönlichkeit war. Was aber war das Ungewöhnliche, das Aufsehen Erregende an der Person Jesu? Wodurch wurden Männer und Frauen zu dem Zeugnis veranlasst, er sei der wahre Messias und kein anderer? Vor allem: was ist der Grund dafür, dass sich diese ungeheuerliche Behauptung von dem gekreuzigten und auferstandenen Messias in zwei Jahrtausenden ständig erneuert und als unverlierbar erwiesen hat?
Die vier Evangelien enthalten so viele klare, überzeugende, eindrückliche Worte und Taten Jesu, dass auch heute noch die große Bedeutung dieses Mannes fast überall einleuchtet. Fragt man aber, welches die wichtigsten, die entscheidenden Worte und Taten sind, so ist man gut beraten, Menschen wie Albert Schweitzer oder Mahatma Gandhi zu befragen, die sich vor allem an der Bergpredigt enthalten orientieren.

Kernsätze der Bergpredigt

Seligpreisungen
  • Ihr seid Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt
  • Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel…
    Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar…Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel…Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was tut ihr Sonderliches?
  • Vaterunser
  • Niemand kann zwei Herren dienen…Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon
  • Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet
  • Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen
  • Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balken in deinem Auge
  • Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.

Die unverlierbare Botschaft

Viele andere Worte und Gleichnisse in den vier Evangelien sind im gleichen Geist gesprochen und seine Taten entsprechen seinen Worten: die Liebe zu Verachteten und Ausgestoßenen, die er hereinnimmt in seine Gemeinschaft, das Eintreten für Frauen und Kinder, seine Zuwendung und aktive Hilfe für leiblich und seelisch Leidende. Für die bisherige Weltgeschichte völlig ungewöhnlich, ja umstürzend ist aber die Tatsache, dass ein König und Friedefürst auf Soldaten und Waffen, auf Krieg und Sieg, auf Vernichtung und Unterwerfung von Feinden, auf Vergeltung ihrer Anschläge völlig verzichtet und dabei scheinbar Schiffbruch, nämlich den Tod am Kreuz erleidet – und gerade so sich als ewig lebendig, als wahrer Herr, König und Friedefürst erweist.

Das "dogmatische" Zeugnis

Wäre nun Jesus aus Nazareth nur der am Kreuz gescheiterte Prophet und Weisheitslehrer, Arzt und Wundertäter, dann könnte man immer sagen, er ist eben einer von den großen Propheten, Lehrern und Humanisten, andere haben ihr Leben mit ähnlicher Konsequenz für andere Ziele eingesetzt und hingegeben. Es ist alles relativ.
Wenn wir aber an dem Zeugnis festhalten, dass dieser Jesus aus Nazareth mit seinen Worten und seinem Opfergang der Sohn Gottes ist, ja dass Gott in ihm selbst zur Welt kam und durch ihn sein Reich aufrichtet, dann bekommt die Ethik Jesu die absolute Bedeutung, die Albert Schweitzer ihr zuschreibt. Dann ist sein Erscheinen Gottes eigentliche Friedensbotschaft an die Welt, das wahre Evangelium.
Erst das Christusbekenntnis gibt der Bergpredigt ihre universale Bedeutung und unbedingte Geltung.

3.5 Das Vaterunser

Das Vaterunser ist wohl das weltweit am meisten verbreitete Gebet.
Jeder Mensch versteht dies Gebet auf seine Weise.
Ich lege hier vor, wie ich das Gebet verstehe und was es für meine Theologie bedeutet.

Vater unser im Himmel ...

„Vater“ ist nicht der Name Gottes. Der eigentliche Name Gottes wird im Hebräischen mit den Buchstaben JHWH angegeben, von Luther mit HERR übersetzt, von den Juden aus Scheu vor dem heiligen Namen nicht ausgesprochen, sondern mit Adonai umschrieben. In 2. Mose 3,14 hat Luther die Bedeutung dieses Namens mit: „ich werde sein“ wiedergegeben. Jesus hat Gott mit „Vater“ angeredet und das hat die Kirche von ihm übernommen.

Geheiligt werde dein Name…

Für mich ist in dieser Bitte das Wissen um den verborgenen, unsichtbaren, fernen, rätselhaften Gott enthalten, der uns Wunderbares vor Augen führt, aber auch Unbegreifliches und Schreckliches in unserer Welt tut oder duldet (lateinisch deus absconditus). Wenn ich für mich bete, akzeptiere ich in der Stille, dass es eine Wirklichkeit Gottes gibt, die andere Schicksal nennen mögen, vor der der sterbliche Mensch vollkommen ohnmächtig ist.

Dein Reich komme…

Die folgenden Bitten sind ohne die Botschaft des Neuen Testaments nicht zu verstehen. Gott tritt mit Jesus aus Nazareth aus seiner Verborgenheit hervor und errichtet sein Reich, indem er sein wahres Wesen und seinen rettenden Willen offenbart (lateinisch deus revelatus). Das Reich Gottes auf Erden ist aber nicht das Paradies ohne Leid und Schuld, Tränen und Tod. Es ist Gottes hilfreiche, rettende Gegenwart inmitten der verlorenen Welt.

Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden…

Da, wo der Wille eines Mächtigen geschieht, ist sein Reich. Weil Jesus den Willen Gottes auf Erden getan hat, hat Gott in ihm und durch ihn sein Reich auf Erden errichtet. Und es wird überall dort Wirklichkeit, wo Menschen im christlichen Glauben handelnd Gottes Willen tun, und überall dort, wo Menschen zwar nicht "Herr Herr" sagen, aber im Geist Jesu handeln.

Unser tägliches Brot gibt uns heute…

In dieser Bitte schließe ich mich zusammen mit allen Menschen. Ich bitte um Brot nicht nur für unsere Familie,unser Volk, sondern um "Brot fürdie Welt". Indem wir so bitten, bitten wir zugleich um die Kraft, uns dafür einzusetzen, dass die Menschen täglich bekommen, was sie zu einem menschenwürdigen Leben brauchen.

Und vergib uns unsere Schuld …

Auch in dieser Bitte schließe ich mich zuusammen mit allen Menschen. Ich unterscheide nicht zwischen den Bösen und den Guten, den Schuldigen und Unschuldigen. Ich weiß auch, dass ich selbst am Elend der Welt schuldig bin. Ich bitte mit allen Christinnen und Christen um Gottes Vergebung.

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…

Ich muss mich fragen - wir , Christen und Christinnen, müssen uns fragen, ob wir vergeben können. Hier steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.

Und führe uns nicht in Versuchung…

Bei den beiden letzten Bitten des Vaterunsers denke ich vor allem an die Geschichte der christlichen Kirche in Vergangenheit und Gegenwart, wie oft sie den Versuchungen der Macht, des Reichtums, der Herrschsucht, der Gewaltanwendung, der Unbarmherzigkeit, der Selbstgerechtigkeit nicht widerstanden hat.

Sondern erlöse uns von dem Bösen

Als Glied der christlichen Kirche auf Erden habe ich auch an ihrem Bösen Anteil. Und sie hat Anteil an meinem Bösen. Ich weiß, dass ich mich vom Bösen nicht selbst befreien kann.

10. Denn: dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Wir sind nichts und zerfallen zu Staub und Asche ohne Gott. Dass wir in Gottes Reich leben, dass wir Gottes Willen tun, dass wir nach unserem Tod zu einem neuen Leben in Gottes Reich wieder erweckt werden – alles verdanken wir der Energie und dem rettenden Willen Gottes.

Das Vaterunser und der Pazifismus

Menschen, die das Vaterunser beten und seine Bitten ernst nehmen, trachten am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, setzen sich für das Lebensrecht jedes Mitmenschen ein, erkennen ihre eigene Schuld und wissen, dass sie selbst vom Bösen befreit werden müssen. Es ist die alte, vergehende Welt, in der Völker Krieg gegeneinander führen und sogenannte Terroristen durch militärische Gewaltanwendung getötet werden. Das Vaterunser zeigt die Kontrastgesellschaft an, die Zukunft hat. Nach meinem Verständnis müssen Menschen, die den Willen Gottes tun wollen, Gott mehr gehorchen als den Regierungen, die Maßnahmen vorbereiten, um Feinde zu vernichten.

Ergänzung (28. Juni 2011):

Das Vaterunser ist auch ein Beitrag zu der Diskussion, ob Gott allmächtig und ob er eine Person ist (vgl Bischof John Spong: "Abschied vom personalen Gott" Publik-Forum 24. Juni 2011).
Das Vaterunser zwingt mich nicht, an einen allmächtigen Gott zu glauben, aber wer kann es sprechen, ohne sich direkt an Gott wie an eine Person zu wenden:
"Dein Namen werde geheiligt
Dein Reich komme...
Dein Wille geschehe...
Dein ist ds Reich und die Kraft und die Herrlichkeit"?
Wenn wir das Vaterunser nicht mehr beten können, dann auch nicht die Psalmen, dann fällt eine weitere Verbindung mit dem jüdischen Glauben, in dem der Jude Jesus tief verwurzelt war, weg, dann können wir nicht mehr "Du" zu Gott sagen, dann können wir nicht mehr beten. Was bleibt von der christlichen Kirche übrig, die nicht mehr zur Gott betet?

4.1 Abschied von Dogmen?

Die Rede von den "Dogmen"

In unserer Welt, die sich durch neue Erkenntnisse der Wissenschaften immer schneller verändert, wird das Wort Dogma meist geringschätzig gebraucht. Es bezieht sich auf Behauptungen, die einen absoluten Wahrheitsanspruch erheben.

Dogma und Glaubensbekenntnis

Behauptungen mit Wahrheitsanspruch gibt es auch in allen Religionen.

Ich habe versucht, die Entstehung der christlichen Kirche zu erklären und bin ausgegangen von der Behauptung der Jünger Jesu, dass er der im Alten Testament verheißene Messias sei. Diese Behauptung ist, wenn man so will, für das ganze Neue Testament das zentrale Dogma, der Fels auf dem die christliche Kirche erbaut ist. Es handelt sich aber nicht um eine wisaenschaftliche Behauptung, deren Wahrheit man bewesein könnte, sondern um eine Entscheidung, ein Glaubensbekenntnis, auf dem Menschen ihr Leben "unverrückbar" aufbauen wollen.

Das apostolische Glaubensbekenntnis

Schon früh wollten die entstehenden christlichen Gemeinden erklären, dass sie zusammengehören. Wer gehört dazu? Wo finden wir Mitchristen, Brüder und Schwestern im Glauben? Bis heute hat sich das Apostolische Glaubensbekenntnis in den christlichen Kirchen gleich welcher Konfession weltweit durchgesetzt. Es ist nicht von den Aposteln formuliert worden, erhebt aber den Anspruch, die Lehre der Apostel weiter zu geben.

Das apostolische Glaubensbekenntnis besteht durcchweg aus Glaubenssätzen. Nur wenige Worte oder Sätze können naturwissenschaftlich oder historisch "verifiziert" werden.

In der folgenden Wiedergabe des Apostolikums schreibe ich Glaubenssätze rot, reale Begriffe oder Geschehnisse schwarz:


Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer
des Himmels und der Erde.


Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenenSohn, unaer Herrn,
empfangen durch den Heiligen Giest
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzuigt, gestorben und begraben

hinabgestiegen in ds Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toen,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächjtigen Vaters,
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.


Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen


Handelt es sich bei den vier Buchstaben GOTT nicht auch schon um ein Dogma? Wer oder was soll denn das sein:
G O T T ??


Israel - Jesus - Kirche

Die ganze "Kirchliche Dogmatik" hat ihren Anfang in der Geschichte des Volkes Israel, wie wir sie aus ihrer eigenen Darstellung in der Hebräischen Bibel kennen. Alles beginnt mir ihrem Zeugnis von dem einen Gott JHWH, dessen eigentlichen Namen sie aus heiliger Scheu nicht auszusprechen wagen, von dessen Exsistenz sie aber überzeugt sind - und davon, dass er sie als sein Volk erwählt und mit ihnen einen ewigen Bund geschlossen habe. Sie erzählen einander, ihr Gott habe die Welt geschaffen, er sei mächtiger als alle anderen Götter, er sei überhaupt der einzige wahre Gott, er werde ihnen ein bestimmtes Land als ewigen Wohnsitz verschaffen, aus ihrer Mitte werde der König hervorgehen, der alle Völker zum Frieden führt.

So kommt eins zum anderen: Zu Israel kommt der Jude Jesus, zu Jesus, dem Messias die Kirche, die sich zu ihm bekennt.

In unserer Zeit wird uns bewusst, dass auch Mohammed und mit ihm der Koran und der Islam ihre Wurzeln im alten Israel haben. Unter Abrahams Kindern sind nicht nur die Nachkommen seiner Frau Sara, sondern auch seiner Magd Hagar.

Ein kleines Volk ist über Jahrtausende hinweg bis auf den heutigen Tag zu einem weltgeschichtlichen Faktor geworden. Die zwei größten Weltreligionen sind aus dem Volk Israel hervorgegangen.

Glaubensüberzeugungen sind nicht verwerflich, verwerflich ist die Gewalt.

Der Versuch, eine bleibende Glaubenserfahrung in Worte zu fassen, ist nicht verwerflich. Verwerflich war die Forderung einer mächtig gewordenen Kirche, sich dem Wortlaut der Glaubensbekenntnisse zu unterwerfen. Die Verachtung und Verfolgung der Andersgläubigen und Ungläubigen macht die Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen unglaubwürdig. Furchtbar ist, dass Menschen aus dem Land der Reformation - durch Mitschuld Martin Luthers - 6 Millionen Juden, Glieder des Volkes, aus dem der christliche Glaube hervorgegangen ist, ermordet haben.

Nicht der Abschied von religiösen Überzeugungen, von Glaubensbekenntnissen oder sogenannten Dogmen ist das Gebot der Stunde, sondern die Überwindung von Gewalt.