Eine persönliche Auseinandersetzung mit einem Roman über den Zustand unserer Kirche
Der Roman von Dieter Wellershoff „Der Himmel ist kein Ort“ ist mir als Pfarrer i.R. zu lesen empfohlen worden.
Inhalt
Ein mysteriöser Auto-Unfall mit einer toten Ehefrau, ihrem halbtoten Kind und dem Ehemann, der auf seltsame Weise überlebt hat, ist der Aufhänger für einen Roman um einen jungen evangelischen Landpfarrer. Hat der Ehemann den Unfall herbeigeführt? Der Pfarrer hält an der Unschuldsvermutung fest und bringt damit die ganze Gemeinde gegen sich auf.
Was wie ein Kriminalroman beginnt, ist in Wirklichkeit die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage, ja mit der Gottesfrage. Was glauben die Leute eigentlich? Wie steht es mit dem Glauben der Amtsträger selbst? Welche Rolle spielt die Kirche in unserer säkularen Gesellschaft? Was bleibt übrig vom Christentum?
Die kirchliche Trauung eines jungen kirchenfernen Paares aus besten Kreisen wird im Detail geschildert. Beim anschließenden Festessen kündigt sich eine erotische Geschichte mit einer zwanzig Jahre älteren Frau an.
Pfarrer Henrichsen kam über diesem „Kriminalfall“ in Konflikt mit seiner Gemeinde. Er wurde von seiner Kirchenleitung für einige Zeit beurlaubt und besuchte eine Akademietagung, zu der er sich schon angemeldet hatte und die sein Superintendent ausrichtete.
Zwei Referate werden auf dieser Akademietagung wiedergegeben, die wörtlich in einer unserer Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaften vorgetragen werden könnten.
Das Thema des ersten Referenten, eines Soziologen, lautet: „Der gegenwärtige Schwächezustand der Kirche. Eine Diagnose“ (S. 219). „Christliche Grundgedanken“ sind erhalten, aber „fast ganz in die Verantwortung der Zivilgesellschaft übergegangen“ (220). „Das aktuelle Wunschbild körperlicher und seelischer Wellness und des gesellschaftlichen Erfolgs habe die religiöse Erlösungshoffnung überlagert und als etwas Unüberprüfbares und Vages in den Hintergrund gedrängt“ (221). Der Tod kann natürlich nicht geleugnet werden, aber er wird als absolutes Ende des Lebens betrachtet und ist „für immer mehr Menschen die sinnstiftende Notwendigkeit für ein selbst gestaltetes Leben geworden“ (222).
Der nächste Referent ist ein „philosophisch, theologisch und kulturhistorisch umfassend gebildeter Generalist“ ein „Herr Sovic“ (224-225). Er soll die Frage beantworten: „Wer oder was ist Gott?“ (225). Und er antwortet ohne Umschweife:
„Gott ist die Summe aller Erzählungen über Gott. Man kann auch sagen:
eine von Menschen geschaffene, Halt und Orientierung stiftende Fiktion“ (225).
Voraussetzung für die Entstehung dieser Fiktion ist das menschliche Großhirn als „sehr spätes Produkt der biologischen Evolution“ (225).
Und dann entwickelt Herr Sovic die Entstehung des christlichen Glaubens aus seinen Anfängen in einer Weise, die auch mich als alten Pfarrer durchaus beeindruckt hat:
„Man kann eine Ironie der Religionsgeschichte darin sehen, dass der monotheistische Gott, der keine anderen Götter neben sich dulden wollte, in Jesus einen Beisitzer bekam, der ein ganz anderes sensibleres Programm vertrat als die alte, mit grausamen Strafen und Gehorsamsprüfungen sich präsentierende göttliche Herrschergestalt“ (230).
„Ohne sich auf Gott berufen zu können, wäre Jesus ein Wanderprediger geblieben, der wie viele andere wieder aus dem Gedächtnis der Menschheit geschwunden wäre...Sterbend kehrt er unter das Schutzdach göttlicher Übermacht zurück...Damit begann seine welthistorische Rolle als Erlöser der leidenden Menschheit“ (231),
In der anschließenden Diskussion folgen noch die Sätze des Herrn Sovic: „Das Urchristentum und das Christentum der Kreuzzüge und unser sozialpädagogisches Christentum unterscheiden sich gewaltig...“ „Dass Gott etwas ist, das außerhalb unserer Gehirne eine Existenz hat, bezweifle ich“ (234).
Das Ende des Romans ist schnell erzählt. Der Verfasser vermeidet die Folgerung, dass nach der Widerlegung und dem Ende des Glaubens an Gott als einer objektiven, dem Menschen gegenüber stehenden Realität nur das überwältigende erotische Erlebnis dem Leben des Menschen noch einen Sinn geben könne. Die Begegnung mit der zwanzig Jahre älteren Verehrerin in Hamburg, die der junge Pfarrer Henrichsen nach der Flucht aus der Akademietagung unangemeldet aufsucht, endet mit einer großen Enttäuschung für beide.
Mag der Slogan der Rap-Band, die bei der Akademietagung für Auflockerung sorgen sollte: „Heaven is not a place. It’s a feeling” (238) auch als Ersatz für die Seligkeit des verloren gegangenen Gottesglaubens dienen, er hält auch nicht, was er verspricht.
Pfarrer Ralf Henrichsen kehrt in seine Kirchengemeinde und zu seinen Pflichten zurück. Er ist wahrscheinlich zu selbstkritisch und zu nüchtern, um es wie manche seiner Kolleginnen und Kollegen zu halten: „Sie glauben einfach, dass sie glauben, und machen Dienst nach Vorschrift“ (248) Aber Dienst nach Vorschrift macht er auch. Für ihn gilt jetzt der Satz: „Das Leben ist ein Abgrund und das Amt ein Geländer, an dem entlang man hindurch gehen kann“ (262/63).
Mein Kommentar
Entweder ist der Mensch das alles entscheidende Subjekt und Gott nur eine Vorstellung, nur ein Objekt seines Gehirns – oder ist Gott das alles entscheidende Subjekt, die Welt sein Werk, der Mensch sein Geschöpf.
Kennzeichen der Bibel des Alten und des Neuen Testaments ist, dass Gott das entscheidende Subjekt ist. Der Mensch anerkennt dieses Subjektsein Gottes jedes Mal, wenn er zu ihm betet, wenn er ihn mit „Du“ anredet. Das gilt für alle gläubigen Juden und Muslime, auch für alle Christen. Alle Menschen, die das Vaterunser beten, wenden sich an den Gott, der alle Dinge in der Hand hat, von dem sie alles erwarten. Sie rechnen mit seiner Gegenwart, und damit, dass er das Gebet hört, sonst würden sie nicht zu ihm beten (vgl. auch 3.5 das Vaterunser).
Wenn aber diese Grundentscheidung getroffen ist, dass nicht der Mensch, sondern Gott das alles entscheidende Subjekt ist, dann beginnt erst die Suche nach Gott.
Die Gottesfrage kann nicht durch Diskussionen auf Akademietagungen entschieden werden. Glauben ist ein Wagnis und besteht immer auch im Tun. „Ora et labora“ sagt Benedikt von Nursia, „Beten und Tun des Gerechten“ Dietrich Bonhoeffer (vgl.2.3).
Wer ist verrückt? Eine Folgerung
Heute (7.1.2011) kam mir der Gedanke:
Ich werde verrückt, wenn ich nicht mehr aussprechen darf, dass die Christinnen und Christen verrückt sind, wenn sie in ihren Gottesdiensen das Vaterunser beten oder das Apostolikum bekennen und dann auf Anordnung und Befehl irgendeiner Regierung sich an mörderischen Waffen zum Töten von Mitmenschen ausbilden lassen - und im "Ernstfall" ihre Feinde auch töten.
Sie sind verrrückt: sie haben ihren Herrn Jesus Christus weggerückt von seinem Platz als ihr wahrer Herr und Meister; sie sind verrückt: sie haben die Bitte des Vaterunsers: "dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden" weggedrückt aus ihrem Gedächtnis; sie sind verrückt: sie reden mit ihren Lippen von der heiligen christlichen Kirche und der Gemeinschaft der Heiligen... und bringen sich als Glieder der christlichen Kirche auf Befehl ihrer jeweiligen weltlichen Herren Generäle gegenseitig um - wie im Dreißigjährigen Krieg, wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg - dreißig Jahre, vier Jahre, fünfdreiviertel Jahre lang ...
In unserer freiheitlichen Demokratie dürfen dürfen freilich alle, die verrückt geworden sind wie ich, aussprechen und schreiben, was sie nur immer wollen. Man nimmt es ihnen nur übel, dass sie Dinge sagen und schreiben, die sie weder Kopf noch Kragen kosten, während sie in Diktaturen mit jahrelangem Gefängnis rechnen müssten, oder für ihre dafaitistischen Äußerungen gehängt, verbrannt oder gerädert würden.
Dienstag, 25. Mai 2010
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen