Das Vaterunser ist wohl das weltweit am meisten verbreitete Gebet.
Jeder Mensch versteht dies Gebet auf seine Weise.
Ich lege hier vor, wie ich das Gebet verstehe und was es für meine Theologie bedeutet.
Vater unser im Himmel ...
„Vater“ ist nicht der Name Gottes. Der eigentliche Name Gottes wird im Hebräischen mit den Buchstaben JHWH angegeben, von Luther mit HERR übersetzt, von den Juden aus Scheu vor dem heiligen Namen nicht ausgesprochen, sondern mit Adonai umschrieben. In 2. Mose 3,14 hat Luther die Bedeutung dieses Namens mit: „ich werde sein“ wiedergegeben. Jesus hat Gott mit „Vater“ angeredet und das hat die Kirche von ihm übernommen.
Geheiligt werde dein Name…
Für mich ist in dieser Bitte das Wissen um den verborgenen, unsichtbaren, fernen, rätselhaften Gott enthalten, der uns Wunderbares vor Augen führt, aber auch Unbegreifliches und Schreckliches in unserer Welt tut oder duldet (lateinisch deus absconditus). Wenn ich für mich bete, akzeptiere ich in der Stille, dass es eine Wirklichkeit Gottes gibt, die andere Schicksal nennen mögen, vor der der sterbliche Mensch vollkommen ohnmächtig ist.
Dein Reich komme…
Die folgenden Bitten sind ohne die Botschaft des Neuen Testaments nicht zu verstehen. Gott tritt mit Jesus aus Nazareth aus seiner Verborgenheit hervor und errichtet sein Reich, indem er sein wahres Wesen und seinen rettenden Willen offenbart (lateinisch deus revelatus). Das Reich Gottes auf Erden ist aber nicht das Paradies ohne Leid und Schuld, Tränen und Tod. Es ist Gottes hilfreiche, rettende Gegenwart inmitten der verlorenen Welt.
Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden…
Da, wo der Wille eines Mächtigen geschieht, ist sein Reich. Weil Jesus den Willen Gottes auf Erden getan hat, hat Gott in ihm und durch ihn sein Reich auf Erden errichtet. Und es wird überall dort Wirklichkeit, wo Menschen im christlichen Glauben handelnd Gottes Willen tun, und überall dort, wo Menschen zwar nicht "Herr Herr" sagen, aber im Geist Jesu handeln.
Unser tägliches Brot gibt uns heute…
In dieser Bitte schließe ich mich zusammen mit allen Menschen. Ich bitte um Brot nicht nur für unsere Familie,unser Volk, sondern um "Brot fürdie Welt". Indem wir so bitten, bitten wir zugleich um die Kraft, uns dafür einzusetzen, dass die Menschen täglich bekommen, was sie zu einem menschenwürdigen Leben brauchen.
Und vergib uns unsere Schuld …
Auch in dieser Bitte schließe ich mich zuusammen mit allen Menschen. Ich unterscheide nicht zwischen den Bösen und den Guten, den Schuldigen und Unschuldigen. Ich weiß auch, dass ich selbst am Elend der Welt schuldig bin. Ich bitte mit allen Christinnen und Christen um Gottes Vergebung.
Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…
Ich muss mich fragen - wir , Christen und Christinnen, müssen uns fragen, ob wir vergeben können. Hier steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Und führe uns nicht in Versuchung…
Bei den beiden letzten Bitten des Vaterunsers denke ich vor allem an die Geschichte der christlichen Kirche in Vergangenheit und Gegenwart, wie oft sie den Versuchungen der Macht, des Reichtums, der Herrschsucht, der Gewaltanwendung, der Unbarmherzigkeit, der Selbstgerechtigkeit nicht widerstanden hat.
Sondern erlöse uns von dem Bösen
Als Glied der christlichen Kirche auf Erden habe ich auch an ihrem Bösen Anteil. Und sie hat Anteil an meinem Bösen. Ich weiß, dass ich mich vom Bösen nicht selbst befreien kann.
10. Denn: dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Wir sind nichts und zerfallen zu Staub und Asche ohne Gott. Dass wir in Gottes Reich leben, dass wir Gottes Willen tun, dass wir nach unserem Tod zu einem neuen Leben in Gottes Reich wieder erweckt werden – alles verdanken wir der Energie und dem rettenden Willen Gottes.
Das Vaterunser und der Pazifismus
Menschen, die das Vaterunser beten und seine Bitten ernst nehmen, trachten am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, setzen sich für das Lebensrecht jedes Mitmenschen ein, erkennen ihre eigene Schuld und wissen, dass sie selbst vom Bösen befreit werden müssen. Es ist die alte, vergehende Welt, in der Völker Krieg gegeneinander führen und sogenannte Terroristen durch militärische Gewaltanwendung getötet werden. Das Vaterunser zeigt die Kontrastgesellschaft an, die Zukunft hat. Nach meinem Verständnis müssen Menschen, die den Willen Gottes tun wollen, Gott mehr gehorchen als den Regierungen, die Maßnahmen vorbereiten, um Feinde zu vernichten.
Ergänzung (28. Juni 2011):
Das Vaterunser ist auch ein Beitrag zu der Diskussion, ob Gott allmächtig und ob er eine Person ist (vgl Bischof John Spong: "Abschied vom personalen Gott" Publik-Forum 24. Juni 2011).
Das Vaterunser zwingt mich nicht, an einen allmächtigen Gott zu glauben, aber wer kann es sprechen, ohne sich direkt an Gott wie an eine Person zu wenden:
"Dein Namen werde geheiligt
Dein Reich komme...
Dein Wille geschehe...
Dein ist ds Reich und die Kraft und die Herrlichkeit"?
Wenn wir das Vaterunser nicht mehr beten können, dann auch nicht die Psalmen, dann fällt eine weitere Verbindung mit dem jüdischen Glauben, in dem der Jude Jesus tief verwurzelt war, weg, dann können wir nicht mehr "Du" zu Gott sagen, dann können wir nicht mehr beten. Was bleibt von der christlichen Kirche übrig, die nicht mehr zur Gott betet?
Dienstag, 25. Mai 2010
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