Warum Karl Barth größeren Einfluss auf mich hatte als Rudolf Bultmann
Ich studierte evangelische Theologie in den Jahren 1947-1951. Weil ich mich auch als Verehrer Albert Schweitzers selbstverständlich zur historisch-kritischen Forschung bekannte, galt ich bei manchen vielleicht als Anhänger Rudolf Bultmanns und seiner „Entmythologisierung des Neuen Testaments“. Ich habe manche seiner Schriften gelesen, aber rechnete mich nicht zu seinen Schülern. Viel größeren Einfluss hatte auf mich der Schweizer Karl Barth, dessen Hauptwerk „Die Kirchliche Dogmatik“ ich als junger Pfarrer Band um Band gelesen habe. Dass ich Karl Barth vor Rudolf Bultmann bevorzugte, obwohl ich mich nie als „Barthianer“ bekannte, hängt sicher mit seinem größeren sozialen und politischen Engagement zusammen. Karl Barth kann neben Martin Niemöller als eigentlicher theologischer Sprecher und Führer der Bekennenden Kirche gelten. Dietrich Bonhoeffer war in der Zeit des Dritten Reiches viele weniger bekannt und anerkannt.
Karl Barth kritisiert die Remilitarisierung der Bundesrepublik und ist doch kein Pazifist
Der Schweizer Karl Barth übte in der Adenauerzeit heftige Kritik an der sogenannten Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland, vielleicht wurde er deshalb manchmal den Pazifisten zugerechnet. Ein radikaler Pazifist konnte er schon deswegen nicht sein, weil er sich bei aller Verdammung des deutschen Militarismus doch wie die allermeisten Theologen und Theologinnen damals wie heute zur militärischen Verteidigung bekannte. Wäre auch die Schweiz von Hitlers Armeen angegriffen worden, wäre er selbstverständlich Soldat geworden. Für eine „Schweiz ohne Armee“ hat er sich nie ausgesprochen. Auch sein Lebenswerk als systematischer Theologe hat ihn nie zur Forderung „Keine Gewalt“ veranlasst. Im Gegenteil.
Karl Barth und die theologische Erklärung aus Barmen
Das sogenannte Barmer Bekenntnis von 1934 war das theologische Fundament der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Erklärung wurde wesentlich von Karl Barth ausgearbeitet. In ihrem 5.Artikel heißt es:
„Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“
Auch wenn in der Barmer Erklärung „Androhung und Ausübung von Gewalt“ vom Staat nur "nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens" ausgeübt werden soll, ist dieser Passus des Barmer Bekenntnisses faktisch immer wieder zur Rechtfertigung kriegerischer Gewalt herangezogen worden.
Formulierungen wie Barmen 5 haben es gewiss auch den Gliedern der Bekennenden Kirche leichter gemacht, wenige Jahre später dem Einberufungsbefehl Adolf Hitlers Folge zu leisten und seine "Androhung und Ausübung von Gewalt" zu billigen. Berufen sich nicht auch heute alle militärisch Agierenden aus ehrlicher Überzeugung oder aus Propaganda darauf, dass sie "für Recht und Frieden" sorgen?
"So wenig wie möglich, so viel wie nötig"
Karl Barth gehört im Blick auf das Militärwesen zu dem mainstream, der sagt: „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“. Aber wie viel Militär ist nötig, um die nötige „Sicherheit“ zu gewährleisten? Die fünf Prozent nötiges Militär und die sogenannte ultima ratio sorgen schon immer dafür, dass die Rüstung modernisiert werden muss, dass die Ausbildung für das Kriegshandwerk weitergeht, dass im „Ernstfall“ auch die verletzenden und tötenden Waffen in Anwendung kommen, ob man das nun Krieg nennt oder nicht.
Darum gehört Karl Barth nicht zu den Theologen, die für mich wegen ihres antimilitaristischen Engagements wichtig geworden wären.
Es wird regiert
Trotzdem hat die Lektüre seiner vielbändigen Dogmatik mein theologisches Denken stark beeinflusst. obwohl ich mir nicht einbilde, sein umfangreiches Werk richtig verstanden zu haben oder würdigen zu können. Ich denke, dass mir Karl Barth vor allem das Lesen und Verstehen der biblischen Botschaft erleichtert hat.Gott greift in die Geschichte der Menschen ein - und das auf eine Weise, die von niemand erwartet oder vorhergesehen wurde. In der Bibel des Alten und Neuen Testaments ist G O T T das entscheidende Subjekt, nicht der Mensch. Gott schuf Himmel und Erde und den Menschen nach seinem Bilde. Er beruft Abraham und erwählt Israel als sein Bundesvolk. Er erwählt Jesus aus Nazareth als den Befreier und Retter der Völker. Er hat ihn auferweckt von den Toten. Sein Geist erschafft die Kirche als Neues Bundesvolk und gibt ihr den Auftrag, die Herrschft Gottes zu verkünden und sie sichtbar zu machen inmitten der alten, vergehenden Welt.
Paradoxe Theologie
Die Botschaft der Bibel ist paradox, eine Botschaft gegen den Augenschein. Wir sehen Sonne, Mond und Sterne, Berge und Seen, Tiere und Pflanzen, Menschen. Und ein unsichtbarer Gott soll alles regieren? Wir erforschen die Geschichte der Völker, Aufstieg und Untergang der Weltreiche. Und Gott soll mit einem kleinen, völlig unbedeutenden Volk die entscheidende Geschichte für die Menschheit begonnen haben? Den aller Welt Kreis nie beschloss, der soll in Marien Schoß liegen? Ein Gekreuzigter soll der wahre König sein? Die christliche Kirche, die in so viel blutige Gewalt verstrickt ist, soll das Friedensreich Gottes schon in dieser Welt sichtbar machen? Jerusalem soll die Stadt des Friedens sein?
Das große Ärgernis
Ist dies nicht alles eine Zumutung für den gesunden Menschenverstand?
Auch ich habe meine Fragen. Wie ist das nun mit dem Islam? Wenn wir vom Alten und Neuen Testament reden,vom Alten und Neuen Israel, oder auch vom Ersten und Zweiten Testament, wie steht es dann mit dem Koran? Auch Mohammed beruft sich auf Abraham, und der Islam versteht sich nicht als drittes Testament in absteigender Reihenfolge, sondern als Krönung der ganzen Geschichte Gottes mit den Menschen. Ist das alles nur "religiöser Aberglaube"?
Und doch: aus dem kleinen Volk der Juden sind die beiden größtem Weltreligionen hervorgegangen. Der eine Gott, zu dem sich der größere Teil der Menschheit bekennt, ist kein anderer als der Gott Israels.
Noch immer sind die Juden da. Noch immer ist ein Brennpunkt der Weltpolitik der Nahe Osten, das verheißene Land, Jerusalem.
Karl Barth hat sicher dazu beigetragen, dass ich Politik und Theologie nicht voneinander trennen kann - dass ich die Aktualität der biblischen Botschaft für die Weltpolitik erkenne.
Dienstag, 25. Mai 2010
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